Die folgende Rede hielt Will Lehman in Detroit bei der öffentlichen Anhörung zum Tod des Stellantis-Arbeiters Ronald Adams Sr. am 27. Juli.
Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) hatte die Versammlung organisiert, um die ersten Ergebnisse ihrer unabhängigen Untersuchung des Todes des 63-jährigen Facharbeiters im Motorenwerk in Dundee am 7. April zu präsentieren.
Will Lehman ist Arbeiter bei Mack Trucks in Pennsylvania und ein führendes Mitglied der IWA-RFC. Im Jahr 2022 hatte er als Sozialist für die Präsidentschaftswahl der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) kandidiert.
Wenn ihr euch an der Untersuchung beteiligen oder Informationen über Todesfälle und Verletzungen am Arbeitsplatz melden wollt, füllt das Formular am Ende des Artikels aus.
Genossinnen und Genossen,
Wir haben uns heute zu einem höchst wichtigen Anlass versammelt: dem öffentlichen Beginn der Untersuchung des tragischen Todes des Stellantis-Arbeiters Ronald Adams Sr. durch die Belegschaft.
Bei dieser Anhörung geht es nicht nur darum, die Umstände dieses einen Todesfalls zu untersuchen, so tragisch er auch ist. Sie markiert vielmehr den Beginn eines Kampfes, den die Arbeiterklasse selbst aufgenommen hat. Unser Ziel ist nichts Geringeres, als den tödlichen Bedingungen ein Ende zu setzen, die Arbeitern in Fabriken und Betrieben auf der ganzen Welt aufgezwungen werden.
Ronald Adams: Märtyrer im Klassenkrieg
Ronald Adams war unter seinen Kollegen im Motorenwerk von Stellantis in Dundee allgemein als „Schutzengel des Werks“ bekannt und hoch geachtet, weil er sich unermüdlich für die Einhaltung von Sicherheitsstandards einsetzte. Dies tat er nicht, weil er beruflich dazu verpflichtet war, sondern weil er die tödlichen Konsequenzen des unablässigen Profitstrebens des Unternehmens erkannt hatte. Ronald widmete sich der Aufgabe, sicherzustellen, dass seine Kollegen am Ende ihrer Schicht sicher nach Hause zurückkehrten.
Doch in einem System, in dem Profite Vorrang vor Menschenleben haben, kann kein einzelner Arbeiter die Sicherheit aller garantieren, ganz gleich, wie engagiert oder erfahren er ist. Ronald Adams wurde am 7. April 2025 von einem Brückenkran zu Tode gequetscht, weil Stellantis – mit Unterstützung durch die Bürokratie der United Auto Workers – bei der Sicherheit gespart hatte, um die Produktionsquoten zu erfüllen. Sein Tod war, genau wie so viele andere, kein einfacher Unfall, sondern ein Verbrechen – eine vermeidbare Tragödie, deren Ursprung direkt in dem kapitalistischen System lag, in dem sie sich ereignete.
Ronald Adams ist ein Märtyrer in dem andauernden Klassenkrieg, der jedes Jahr Tausende von Menschenleben kostet. Arbeiter, die sterben oder verletzt werden, erfahren selten Gerechtigkeit; ihre Familien kämpfen oft für eine Entschädigung, die nur ein Almosen ist – wenn sie überhaupt eine erhalten.
Das Ausmaß der Krise
Die schreckliche Wahrheit im Zentrum der kapitalistischen Gesellschaft lautet, dass jeden Tag Arbeiter in Fabriken, Bergwerken, auf Baustellen und in zahllosen weiteren Betrieben ihr Leben verlieren.
Offiziell werden allein in den USA täglich mindestens 15 Arbeiter am Arbeitsplatz getötet. Das sind etwa 450 Arbeiter pro Monat oder mehr als 5.200 pro Jahr. Tausende weitere werden verstümmelt, dauerhaft zu Invaliden oder durch Kontakt mit gefährlichen Chemikalien vergiftet. Diese erschütternden Zahlen bilden noch nicht einmal annähernd das wahre Ausmaß der Katastrophen ab, mit denen Arbeiter jeden Tag im Betrieb konfrontiert sind.
Weltweit gesehen ist die Lage noch schlimmer. Jedes Jahr sterben fast drei Millionen Arbeiter durch Verletzungen am Arbeitsplatz und Berufskrankheiten, was einem Durchschnitt von 8.000 pro Tag entspricht. Etwa 330.000 dieser Todesfälle gehen auf traumatische Verletzungen wie im Fall von Ronald zurück. Die große Mehrheit von mehr als 2,6 Millionen Menschen sind Opfer von Berufskrankheiten durch Kontakt mit gefährlichen Stoffen, unsicheren Arbeitsbedingungen und unablässiger Ausbeutung.
In allen Regionen – vom asiatischen Pazifik, wo sich fast zwei Drittel der weltweiten Todesfälle ereignen, bis hin zu Fabriken und Betrieben in Europa, Afrika, Nord– und Südamerika – ist die Arbeiterklasse täglich dieser tödlichen Realität ausgesetzt.
Zudem beinhalten die Zahlen, die ich gerade zitiert habe, nicht die langfristigen Folgen von Vergiftungen am Arbeitsplatz und industriebedingten Krankheiten, oder von Arbeitern, die durch die rücksichtslose Reaktion der Arbeitgeber und Regierungen auf die Covid-19 Pandemie weltweit getötet oder zu Invaliden wurden.
Im 19. und 20. Jahrhundert haben Arbeiter bitter und oft heldenhaft gegen solche tödlichen Bedingungen gekämpft. Die Geschichte des industriellen Kapitalismus wurde mit dem Blut von Arbeitern geschrieben, die bei vermeidbaren Tragödien und in den daraufhin ausgebrochenen Massenkämpfen gestorben sind.
Von den 1930er Jahren bis in die 1970er führten Kohlebergarbeiter, Fleischverpacker, Auto- und andere Arbeiter gewaltige Kämpfe für das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz. Die Errungenschaften dieser Kämpfe wurden ihnen nicht von den Unternehmen oder der Regierung gewährt, sondern sie wurden erkämpft. Oft entwickelten sich diese Kämpfe zu Rebellionen – nicht nur gegen die Konzerne, sondern auch gegen die unternehmensfreundlichen Gewerkschaftsbürokratien und den kapitalistischen Staat selbst.
Die Liste der industriellen Katastrophen ist lang und erdrückend, und jede einzelne verdeutlicht die tödlichen Folgen eines Systems, das Profit über Menschenleben stellt. Im Jahr 1906 wurden bei einem Grubenunglück in Courrieres (im nordfranzösischen Département Pas-de-Calais) mehr als 1.000 Bergarbeiter getötet. Ein Jahr später wurden in Monongah in West Virginia mehr als 360 Kohlebergarbeiter bei der Explosion einer Grube getötet. Im Jahr 1911 verbrannten 146 sehr junge Immigranten, die als Textilarbeiter/innen in der Fabrik von Triangle Shirtwaist in New York beschäftigt waren, weil ihre Bosse die Ausgänge abgesperrt hatten. 1968 wurden beim Grubenunglück in Farmington in West Virginia 78 Menschen getötet, woraufhin es zu landesweiten Protesten für verbesserte Sicherheitsbedingungen in den Kohlebergwerken kam. Das sind nur einige der Beispiele einer langen und blutigen Geschichte.
In den letzten Jahrzehnten stieg der Blutzoll an. 1984 wurden bei der Katastrophe in Bhopal (Indien) Tausende getötet und Zehntausende vergiftet. 1993 starben in Thailand 184 Arbeiter – hauptsächlich junge Frauen – bei einem Brand in der Spielzeugfabrik Kader. 2010 wurden elf Arbeiter bei der Explosion der BP-Plattform Deepwater Horizon getötet, die eine massive Umweltkatastrophe auslöste. Im Jahr 2013 wurden beim Einsturz des Rana Plaza in Bangladesch mehr als 1.100 Textilarbeiter/innen getötet, die trotz des sichtlich baufälligen Zustands des Gebäudes dort arbeiten mussten.
Hierbei handelt es sich nicht um isolierte Zwischenfälle oder „Naturkatastrophen“, sondern um das unweigerliche Ergebnis eines Systems, in dem Profit Vorrang vor Menschenleben hat. Dass es immer wieder zu solchen Tragödien kommt, beweist, dass sich nichts Grundlegendes geändert hat.
Wenn ein Arbeiter von vor 125 Jahren in die heutige Veranstaltung käme, würde er die Bedeutung der Themen, die wir diskutieren, sofort erkennen und zu Recht fragen: „Ihr habt das nach über einem Jahrhundert noch nicht geklärt? Ihr lasst immer noch zu, dass die Bosse uns töten?“
Workers’ Lives Matter!
Die große Mehrheit der Arbeiter weiß, dass sie von der Perspektive der Aktionäre und Unternehmen aus nur Nummern sind und oft schlechter behandelt werden als die Maschinen in den Werken. Wir sind heute nicht nur hier, um den sozialen Mord an Ronald Adams zu untersuchen, sondern auch, um den Kampf für die Sicherheit aller Arbeiter fortzusetzen, den er Zeit seines Lebens geführt hat, und um unsere Interessen als internationale Arbeiterklasse voranzubringen.
Wir sind heute hier, um zu erklären: Das Leben von Arbeitern zählt! Aber wir verstehen auch, dass der Kampf zur Verteidigung sicherer Arbeitsplätze nicht von Einzelpersonen geführt werden kann. Die ganze Arbeiterklasse muss diesen Kampf kollektiv führen. Der Tod von Ronald Adams verdeutlicht, dass die Arbeiterklasse die Angelegenheit in die eigenen Hände nehmen muss. Dazu muss sie unabhängige Aktionskomitees ohne Gewerkschaftsbürokraten und Unternehmensvertreter aufbauen.
Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass ein Teil des politischen Establishments diesen Kampf für uns führt. Die Trump-Regierung ist gerade dabei, im Rahmen eines umfassenden Angriffs auf alle sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse die Arbeitsschutzbehörde OSHA zu zerstören.
Die OSHA selbst ist bereits stark unterfinanziert, unterbesetzt und völlig den Interessen der Konzerne untergeordnet. Letztes Jahr kam in den USA auf je 85.000 Arbeiter nur ein OSHA-Inspektor, und die Geldstrafen für Unternehmen für Verstöße, die zu Todesfällen oder schweren Verletzungen führten, beliefen sich auf durchschnittlich nur einige tausend Dollar. Die durchschnittliche Strafe für den Tod eines Arbeiters in den USA liegt bei kläglichen 16.131. Dollar.
Doch selbst diese minimale Regulierungsaufsicht wird jetzt systematisch zerschlagen. Trump und seine Verbündeten verfolgen eindeutig das Ziel, alle verbliebenen Einschränkungen der Ausbeutung der Arbeiter durch die Konzerne zu beseitigen und wieder Bedingungen wie in den brutalsten Tagen der industriellen Revolution einzuführen.
Die Demokratische Partei ist nicht nur mitschuldig, sondern sie ist ein vollwertiger Partner bei den Verbrechen der amerikanischen Unternehmen. Unter Obama vertuschten sie die Explosion auf der BP-Bohrplattform im Jahr 2010 und schützten den Ölkonzern vor juristischen Folgen. 2023 unter Biden sorgten sie gemeinsam für die Vertuschung des Unfalls eines Güterzugs mit giftiger Ladung in East Palestine (Ohio) und stellten damit den Konzern Norfolk Southern über die Gesundheit der Bewohner des Ortes.
Das politische System existiert, um die Interessen der Reichen zu verteidigen, nicht diejenigen der arbeitenden Bevölkerung. Man bedenke: Das Gesamtvermögen der US-Milliardäre beträgt 6,2 Billionen Dollar. Diese nahezu unvorstellbare Summe ist 9.460-mal größer als der gesamte Jahresetat der OSHA für 2025 (etwa 655 Millionen Dollar). Das bedeutet, dass das Gesamtvermögen der Milliardäre des Landes den gesamten Etat der OSHA auf heutigem Niveau für fast 9.500 Jahre finanzieren könnte.
Der Gewerkschaftsapparat, vor allem die Bürokratie der United Auto Workers, trägt eine immense und direkte Verantwortung für die Fortdauer und Verschlimmerung dieser Bedingungen. Der Gewerkschaftsapparat ist inzwischen nur noch eine Erweiterung des Konzernmanagements und arbeitet aktiv mit an der Zerstörung der Rechte, der Sicherheit und des Lebens der Arbeiter.
Alle Autoarbeiter wissen, dass Beschwerden über unsichere Bedingungen bei Gewerkschaftsfunktionären nur mit Abwimmeln und Untätigkeit beantwortet werden. Als Ronald Adams getötet wurde, verteidigten UAW-Funktionäre sofort das Unternehmen und halfen dabei, das Werk schnellstmöglich wieder zu öffnen, bevor sie gegenüber Ronalds Familie und Kollegen irgendeine Erklärung abgaben.
Dieses als Korporatismus bekannte Kollaborationsmodell ist über Jahrzehnte entstanden, in denen sich die Gewerkschaften zum Nationalismus bekannten und jeden Anschein aufgaben, für einen unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse einzustehen. Sicherheitsprobleme werden systematisch ignoriert oder totgeschwiegen, während sich Gewerkschaftsfunktionäre durch bequeme Posten, die Veruntreuung von Mitgliedsbeiträgen, teure Reisen und direkte Bestechungsgelder von den Ausbildungszentren der Konzerne bereichern. Die jüngsten Korruptionsuntersuchungen haben dies enthüllt.
Der Federal Monitor der UAW, die staatliche Stelle, die nach dem Korruptionsskandal das Image der UAW-Bürokratie verbessern sollte, veröffentlichte im letzten Juni einen Bericht, der einen kleinen Einblick in den degenerierten Zustand der Gewerkschaftsbürokratie bietet. Ein kleines Beispiel dafür lautet: „Von den hunderten Teilnehmern an einer Mitarbeiterversammlung Ende 2023 erinnerten sich mehrere daran, dass (der UAW Vorsitzende Shawn) Fain vor der Menge erklärt hatte, er würde allen, die sich mit bestimmten Mitgliedern seines Kernteams ‚anlegen‘, ihre ‚beschissenen Kehlen‘ durchschneiden.“
Die Realität der Kluft zwischen den Arbeitern und den Bürokraten in der UAW könnte nicht offensichtlicher sein. Ronald war ein Arbeiter, der sich für die Sicherheit seiner Kollegen einsetzte, während der führende Bürokrat der UAW, der als leuchtendes Beispiel für reformistische Politik in der Gewerkschaftsbewegung galt, unflätig schwor, jeden anderen Bürokraten, der die ihm nahestehenden Funktionäre herausforderte, gewaltsam anzugreifen.
Unsere Antwort: Aufbau einer Bewegung der Arbeiter
Diese Anhörung stellt den Beginn einer Bewegung dar. Durch die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees werden wir für die Wahrheit über Ronalds Tod und die zahllosen anderen Todesfälle an Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt kämpfen. Wir werden unsere Ergebnisse veröffentlichen, Arbeiter mobilisieren und ein internationales Netzwerk aufbauen, um für unsere Interessen zu kämpfen.
Die entscheidende Aufgabe, vor der die Arbeiter stehen, ist es, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen. Wir dürfen uns auf keinen Teil des politischen Establishments verlassen, und ebenso wenig auf den Gewerkschaftsapparat. Die IWA-RFC ruft die Arbeiter dazu auf, Aktionskomitees zu gründen, durch die wir als Arbeiter unsere Interessen vertreten und für unsere Rechte kämpfen können.
Es wird alles getan, um uns davon zu überzeugen, dass wir machtlos sind, dass wir Arbeiter unser Schicksal einfach hinnehmen und eine Gesellschaft akzeptieren müssen, die unser Leben und unsere Gesundheit dem Profit und dem Reichtum der Reichen opfert und dass wir nichts dagegen tun können. In Wirklichkeit haben die Arbeiter eine enorme Macht, denn sie produzieren alles, was für die Gesellschaft einen Wert hat. Wir können diese Macht jedoch nur einsetzen, wenn wir uns organisieren. Niemand wird es für uns tun. Wir müssen erkennen, dass uns durch Untätigkeit eine viel größere Gefahr droht, als wenn wir in unserem besten Interesse handeln. Es ist Zeit, dass wir aktiv werden.
In allen Werken müssen Sicherheitskomitees gegründet werden, um für das Prinzip zu kämpfen, dass keine Arbeit getan wird, solange sie nicht sicher ist. Wir Arbeiter müssen in Absprache mit vertrauenswürdigen Sicherheitsexperten unserer Wahl die volle Befugnis haben, Sicherheitsstandards festzulegen und unsichere Operationen durch kollektive Maßnahmen zu beenden.
Unser Ziel ist es, die Kontrolle über die Sicherheit am Arbeitsplatz in die Hände der Arbeiterklasse selbst zu legen. Dies soll im Rahmen des allgemeinen Kampfes für die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion geschehen. Solange die Produktion vom Profitstreben angetrieben und von den Konzernbesitzern kontrolliert wird, gilt das Leben von Arbeitern als verzichtbar.
Ronald Adams’ tragischer Tod darf nicht umsonst gewesen sein. Er symbolisiert eine globale Krise und steht für alle Arbeiter, die getötet oder verletzt wurden und unter dem Kapitalismus ausgebeutet oder misshandelt werden.
In dieser Anhörung werden wir unsere bisherigen Erkenntnisse zusammenfassen, aber dies ist nur der Anfang einer Bewegung, einer internationalen Bewegung, die darauf abzielt, das Massaker an den Industriearbeitsplätzen ein für alle Mal zu beenden. Wir rufen alle Anwesenden dazu auf, sich diesem Kampf anzuschließen.