Krise der deutschen Autoindustrie: Entlassungen, Werkschließungen und Insolvenzen

Es vergeht kein Tag ohne Hiobsbotschaften für die Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie. Die großen Hersteller haben einen hohen vier- bis fünfstelligen Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt: Volkswagen, Mercedes, Bosch, ZF, Porsche, Ford, Audi usw. Gleichzeitig gehen tagtäglich hunderte Stellen in den zahllosen mittelständischen Unternehmen verloren.

März 2024: 10.000 Beschäftigte demonstrieren vor dem Hauptsitz in Gerlingen bei Stuttgart gegen Entlassungpläne von Bosch

Die IG Metall hat über zwei Millionen Mitglieder, die meisten davon in der Autoindustrie, ist also durch ihre Betriebsräte und Vertrauensleute über alle Entwicklungen genauestens informiert. Doch anstatt diese industrielle Macht gegen den Kahlschlag zu mobilisieren, setzt sie diesen gegen die eigenen Mitglieder durch.

Die Gültigkeit von Studien über den zu erwartenden Kahlschlag in der Auto- und Zulieferindustrie hat eine geringere Halbwertzeit als ein instabiles Nuklid. Als das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Anfang September im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums berichtete, dass in Deutschland bis Ende dieses Jahres weitere 18.000 und bis 2030 insgesamt 98.000 Arbeitsplätze vernichtet werden, war diese Prognose bereits von der Wirklichkeit überholt.

Erst letzte Woche hat Bosch das größte Arbeitsplatzmassaker der Unternehmensgeschichte angekündigt: Allein in Deutschland werden 22.000 und nicht, wie ursprünglich verkündet, 9000 Arbeitsplätze vernichtet.

Laut IW arbeiten gegenwärtig 1,2 Millionen Menschen bei Automobilherstellern, deren Zulieferern und weiteren branchenabhängigen Unternehmen. In den zukunftsträchtigen Transformations-Bereichen, wie Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung, sind derzeit erst 182.000 Menschen beschäftigt. Der Stellenaufbau stagniert hier aufgrund der geringen Verkaufszahlen der E-Modelle deutscher Hersteller. Die Konzerne planen derweil die Rolle rückwärts, die weitere Konzentration auf ihre Verbrenner-Autos. Das dürfte die Insolvenz- und Abbauwelle nur kurzfristig verlangsamen, dafür wird sie dann aber umso heftiger über die Unternehmen hereinbrechen.

Der Grund für den Stellenkahlschlag sind die Gewinneinbrüche. Am 14. September berichtete das Handelsblatt gestützt auf eine Branchenanalyse der Beratungsgesellschaft EY, dass sich der Gewinn der weltweit größten 19 Autobauer im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum halbiert hat (minus 49,2 Prozent) –auf immer noch 42,8 Milliarden Euro.

So musste der jahrzehntelange Branchenprimus Porsche in diesem Jahr bereits viermal Gewinnwarnungen herausgeben, plant aber immer noch Gewinne, wenn auch nicht mehr so hohe wie gewohnt. Der Porsche-Börsenwert hat sich seit dem Börsengang vor drei Jahren halbiert. Das bringt die Eigentümer – im Falle von Porsche die Familien Porsche und Piëch – in Rage.

Sie wollen ihre Milliardenvermögen weiter vermehren – und zwar auf Kosten der Autoarbeiterinnen und -arbeiter. Deshalb fordern sie wie auch die anderen Aktionäre und Eigentümer Arbeitsplatzvernichtung und Lohnsenkungen. Die Profite sollen weiter sprudeln, damit die Aktienwerte steigen und die Börsen-Bonanza anhält, bzw. wieder Fahrt aufnimmt.

Leidtragende sind zigtausende Beschäftigte, wie die folgende unvollständige Liste mit Datum der Ankündigung verdeutlicht:

  • Bosch (25. September) – Bis spätestens 2030 sollen in der Mobility-Sparte nach angekündigten 9000 zusätzlich 13.000 Arbeitsplätze gestrichen werden, überwiegend in Deutschland.
  • Stellantis/Opel (25. September) – Der Stellantis-Konzern stellt die Produktion in mehreren europäischen Werken vorerst ein, darunter das Opel-Werk im thüringischen Eisenach. Die Produktion werde „durch eine vorübergehende Schließung an zwei Tagen im Oktober angepasst“.
  • Kiekert Heiligenhaus (25. September) – Der Autozulieferer Kiekert AG, Erfinder der modernen Zentralverriegelung, hat Insolvenz angemeldet. Die rund 700 Arbeiter in Deutschland erhalten bis November Insolvenzgeld, was danach passiert ist unklar.
  • Goodyear Fulda (25. September) – Am 30. September stellt das Goodyear-Werk in Fulda nach 125 Jahren Industriegeschichte seinen Betrieb für immer ein. Sämtliche einst 1050 Beschäftigten des Reifenherstellers stehen auf der Straße.
  • ZF Koblenz (19. September) – Der Autozulieferers ZF hat letzte Woche mitgeteilt, dass am Standort Koblenz bis 2030 rund 450 Arbeitsplätze wegfallen sollen. „Der Großteil der verbleibenden Reduzierung soll bereits bis Ende 2026 erfolgen.“
  • Stabilus Koblenz (19. September) – Der Gasfeder-Hersteller streicht weltweit 450 Arbeitsplätze und legt Büro- und Produktionsflächen in Deutschland, den USA, Singapur und Thailand zusammen. Das alles soll bis September nächsten Jahres 19 Millionen Euro einsparen.
  • MAN Salzgitter (18. September) – Eine nicht genaue Anzahl von – wahrscheinlich mehreren Hundert – Stellen soll durch Verlagerungen oder Schließungen im Werk des niedersächsischen Standorts abgebaut werden. Betroffen sind die Achsmontage, Rohr- sowie die Kurbelwellenfertigung.
  • Ford Köln (16. September) – Im Kölner Stammwerk wird von Zwei- auf Einschichtbetrieb umgestellt, weitere 1000 Arbeitsplätze gehen verloren. Erst zwei Wochen zuvor hatte die IG Metall den Abbau von 2900 Arbeitsplätzen durchgesetzt.
  • Breyden Lollar (12. September) – Der Bremsscheibenhersteller schließt seinen Standort im hessischen Lollar mit 230 Beschäftigten noch in diesem Jahr. Die ehemals zum Bosch-Imperium gehörenden Gießerei-Arbeiter fürchten seit über drei Jahren um ihre Arbeitsplätze. Nun soll in wenigen Monaten Schluss sein.
  • BorgWarner Darmstadt / Offenbach (8. September) – Der US-Autozulieferer beabsichtigt an den Standorten Darmstadt und Langen knapp die Hälfte seiner Beschäftigten abzubauen. „Nach Angaben des Managements sollen bis Januar 2026 rund 40 Prozent der [300] Stellen im Engineering-Bereich (BTC) sowie 45 Prozent der [500] Arbeitsplätze im Werksbereich abgebaut werden“, berichtete die IG Metall.
  • Musashi Hannoversch Münden / Lüchow (8. September) – Der japanische Autozulieferer will Personal reduzieren und zwei Werke in Deutschland schließen. Die Verkäufe der von Musashi produzierten Schmiedeteile seien um 40 Prozent eingebrochen. Die Werke in Hannoversch Münden (Niedersachsen) und Leinefelde (Thüringen) schließen, im Werk Lüchow (Niedersachsen) soll Personal abgebaut werden. Hunderte Beschäftigte sind betroffen.

Die IG Metall hat es sich zur Aufgabe gemacht, überall die Angriffe durchzusetzen und den Kampfeswillen der Belegschaften zu brechen.

Die Gewerkschaft isoliert die betroffenen Betriebe voneinander, so dass jeder für sich allein stirbt. Die Gewerkschaftsfunktionäre handeln Sozialtarifverträge aus, mit denen Arbeiterinnen und Arbeiter über Frühverrentung, Altersteilzeit, Abfindungen und Transfergesellschaften aus den Jobs gedrängt werden. Selbst „betriebsbedingte Kündigungen“, deren Ausschluss bislang immer für massive Stellen- und Lohnkürzungen herhalten musste, finden nun statt.

Die Belegschaften sind jedoch bereit zu kämpfen. Der ZF-Betriebsrat in Koblenz berichtet, es habe „eine Kampfbereitschaft für den Erhalt der Arbeitsplätze gegeben“. Doch wie im ganzen Konzern, der bis Ende 2028 alleine in Deutschland bis zu 14.000 Stellen streichen möchte, weigern sich Betriebsrat und IG Metall, gemeinsame Verteidigungskämpfe zu führen.

Wenn die Gewerkschafts-Bürokraten doch mit markigen Worten auf die angekündigten Angriffe reagieren, tun sie dies einzig und allein, um der wachsenden Kampfbereitschaft die Spitze zu brechen. So etwa, wenn der IGM-Geschäftsführer in Darmstadt behauptet, Betriebsrat und IG Metall würden die geplanten Maßnahmen bei BorgWarner „nicht widerspruchslos hinnehmen“. Nichts wird passieren, außer einigen Trillerpfeifen-Protesten oder dem abgeschmackten und demoralisierten Herumtragen von Särgen. Den Worthülsen über „Widerspruch“ lassen die Funktionäre niemals konkrete Handlungen des wirksamen Widerstands folgen.

Im Gegenteil, die IG Metall und alle DGB-Gewerkschaften unterstützen die Angriffe der Konzerne. Die durch Aufsichtsrats- und Betriebsratsposten korrumpierten Bürokraten teilen die Einschätzung der oberen Konzernetagen und der Aktionäre. Um die Profite zu sichern, müssen Arbeitsplätze abgebaut und die Personalkosten – sprich: Löhne, Prämien, Sonderzahlungen, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, betriebliche Renten usw. – gesenkt werden.

Die Beschäftigten in der Autoindustrie müssen sich klarwerden: Der IG-Metall-Apparat und ihre Betriebsräte stehen auf der anderen Seite der Barrikade. Die wachsende Opposition muss daher unabhängig von und gegen die Apparate organisiert werden.

Dazu müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, in denen sich alle, die wirklich kämpfen wollen, zusammenschließen und die die von den Gewerkschaften erzwungene Zersplitterung über Branchen und Landesgrenzen hinweg überwinden.

Die Produktion und alle gesellschaftlichen Ressourcen müssen den sozialen Bedürfnissen der Arbeiterklasse dienen, die alle Werte schafft, anstatt den Profitinteressen der Reichen.

Wer mit dieser Ausrichtung übereinstimmt, den rufen wir auf, sich mit uns in Kontakt zu setzen, um den pausenlosen Angriffen Einhalt zu gebieten. Füllt das Formular aus oder schreibt eine Nachricht über WhatsApp an die +491633378340.

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