55.000 Beschäftigte von Canada Post streiken gegen Zerschlagung des öffentlichen Postwesens

Streikende Postbeschäftigte in Toronto am Streikposten vor dem Albert Jackson Processing Centre

Seit dem 25. September befinden sich mehr als 55.000 Beschäftigte von Canada Post im Streik. Sie wehren sich gegen die Versuche der Regierung, die Postzustellung als öffentliche Dienstleistung fast völlig abzuschaffen. Auslöser war die Ankündigung des zuständigen Ministers Joël Lightbound, dass die staatliche Post ihr Dienstleistungsangbot stark einschränken und in den nächsten Jahren Zehntausende von Vollzeitstellen abbauen soll.

Briefzusteller und Beschäftigte von Sortierzentren im Osten Kanadas legten sofort nach Lightbounds Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag die Arbeit nieder. Die Nachricht von dieser Widerstandsaktion verbreitete sich schnell über die sozialen Netzwerke. Wie die World Socialist Web Site von Arbeitern erfuhr, kam es auch in Manitoba zu Arbeitsniederlegungen. Schließlich sah sich die Gewerkschaft Canadian Union of Postal Workers (CUPW) gezwungen, am späten Abend zu einem landesweiten Streik aufzurufen, um sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und sie besser unterdrücken zu können.

Zum zweiten Mal innerhalb von weniger als einem Jahr befinden sich Postler in einem betrieblichen Kampf gegen das Management der Canada Post, der zugleich ein politischer Kampf die von den Liberalen gestellte Regierung und das kanadische Kapital insgesamt ist. Canada Post soll „umstrukturiert“ werden, um einen Präzendenzfall für die Zerschlagung öffentlicher Dienstleistungen im ganzen Land zu schaffen und die militärische Aufrüstung, die globalen Kriege und die Bereicherung der kanadischen Finanzoligarchie zu finanzieren.

Die Postler können sich gegen diese Klassenkriegspläne nur behaupten, wenn sie an alle Arbeiter appellieren, ihren Kampf zu unterstützen. Die Anliegen, für die sie kämpfen, sind für alle von entscheidender Bedeutung. Es geht um die Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen und des Streikrechts, den Schutz vor prekären Arbeitsverhältnissen wie bei Amazon und die Notwendigkeit, den Einsatz von KI und anderen neuen Technologien unter die Kontrolle der Arbeiter zu bringen, damit sie benutzt werden können, um die Arbeitsbelastung ohne Lohnverlust zu verringern, statt zur verschärften Ausbeutung und zur Profitsteigerung.

Die Regierung von Mark Carney (der Gouverneur der Bank of Canada und der Bank of England war, bevor er Anfang des Jahres das Amt des Premierministers übernahm) nimmt die Krise bei Canada Post als Vorwand, um der Arbeiterklasse insgesamt den Krieg zu erklären.

Die Regierung plant, ein „Austeritäts- und Investitionsprogramm“ umzusetzen. Als eine der ersten Maßnahmen sollen die diskretionären Ausgaben der Bundesregierung in den nächsten drei Jahren um fünfzehn Prozent gekürzt werden. Hunderte Milliarden sollen in die Aufrüstung des Militärs und in Subventionen und Steuersenkungen für das Großkapital und die Reichen umgelenkt werden.

Die Postler dürfen erst seit Mai dieses Jahres wieder streiken. Im Dezember 2024 war ihnen das Streikrecht für fünf Monate aberkannt worden, nachdem Arbeitsminister Steven MacKinnon nach einem einmonatigen Streik eine entsprechende Anweisung erlassen hatte.

Die Gewerkschaft CUPW weigerte sich damals, die Postler zu mobilisieren und die ganze Arbeiterklasse zur Unterstützung aufzurufen. Stattdessen hält sie die Beschäftigten an der kurzen Leine und beschränkte den Kampf auf ein Überstundenverbot, das später durch ein Verbot der Zustellung von nichtadressierten Werbeflyern ersetzt wurde.

Obwohl die Gewerkschaft keine Perspektive für die Fortsetzung des Kampfs anbot, stimmten 70 Prozent der Arbeiter mit „Nein“, als die liberale Regierung im Juli erneut gegen die Postler intervenierte, um sie zu zwingen, über die Zugeständnisse gegenüber Canada Post abzustimmen.

Lightbound stellte nun seine aktuellen Pläne als „Notoperation“ dar, um den nationalen Postdienst vor einer „existenziellen Krise“ zu retten. Er verwies auf die angehäuften Schulden in Milliardenhöhe, einen starken Rückgang der Briefpost und den aktuellen Quartalsverlust von 407 Millionen Dollar.

Die von Lightbound angekündigten Maßnahmen beruhen fast vollständig auf dem manipulierten Bericht der Industrial Inquiry Commission (IIC), welche die Regierung im letzten Dezember eingesetzt hatte.

Lightbound erklärte nun, Canada Post sei „faktisch insolvent“, und kündigte massive Kürzungen an. So soll die individuelle Briefzustellung für derzeit noch für vier Millionen Haushalte zugunsten von „Gemeinschaftsbriefkästen“ abgeschafft werden. Das Moratorium für die Schließung von Postämtern auf dem Land und in den Vororten soll fallen, und die Standards für Briefzustellung sollen so geändert werden, dass dringende Post per Lastwagen statt per Flugzeug transportiert werden kann. Nach dem Plan der Regierung, der innerhalb von 45 Tagen umgesetzt werden soll, wird die Postzustellung von fünf auf drei Tage in der Woche verringert, geplante Portoerhöhungen werden vorgezogen, und das Management erhält die Befugnis am Wochenende Teilzeitkräfte zu beschäftigen.

Doch selbst diese weitreichenden Maßnahmen sind nur der erste Schritt eines noch umfangreicheren Umstrukturierungsplans mit dem Ziel, die Gesamtbelegschaft um zwei Drittel zu verringern und die profitabelsten Geschäftsbereiche an Privatanbieter auszugliedern, während Canada Post nur noch mit einer Mindestbelegschaft aus Teilzeitkräften die ländlichen und abgelegenen Gebiete bedient. Diese Pläne sollen von einem neuen Komitee ausgearbeitet werden, das die Regierung zusammenstellt, um das Mandat von Canada Post zu prüfen.

Der ehemalige Canada-Post-Vorstand Ian Lee, heute ein oft zitierter Wirtschaftsprofessor an der Carleton University, erklärte es für notwendig, die profitablen städtischen Postämter zu verkaufen und Canada Post auf einen Minimalbetrieb in ländlichen Gebieten zu reduzieren. Dies würde die Vernichtung von 40.000 Arbeitsplätzen bedeuten.

Was Lightbound als finanzielle Notwendigkeit darstellt, ist in Wirklichkeit ein seit langem vorbereiteter Angriff auf das öffentliche Postwesen. Der Plan, auf die er sich bezog, ging direkt aus dem Streikbruch der Trudeau-Regierung im letzten Dezember hervor. Die Liberalen beriefen sich damals auf eine offenkundig illegale „Neuauslegung“ von Paragraf 107 des kanadischen Arbeitsrechts, um den Poststreik auch ohne das Feigenblatt einer parlamentarischen Abstimmung für illegal zu erklären, die abgelaufenen Tarifverträge der Postler einseitig zu verlängern und ein fünfmonatiges Verbot von Arbeitskämpfen zu verhängen.

Gleichzeitig riefen sie unter Anwendung von Paragraf 108 des Arbeitsrechts die Kommission ins Leben, die Umstrukturierungsmaßnahmen ausarbeiten soll. Unter Leitung des Schlichters William Kaplan wurde sie beauftragt, Änderungen an allen Tätigkeiten der Canada Post, ihren Tarifverträgen und sogar dem Verhandlungsprozess zu empfehlen. Mit anderen Worten, die Regierung setzte sich über das Streikrecht der Postler hinweg und gründete eine handverlesene Kommission, um ihre Pläne zur Zerstörung von Arbeitsplätzen und Leistungen abzusegnen.

Während die Arbeiter ihre Entschlossenheit deutlich gemacht haben, Widerstand gegen diese Angriffe und auch gegen eine Intervention der Regierung zu leisten, verfolgen das Management und die CUPW-Bürokratie ein gemeinsames Ziel: Canada Post auf Kosten der Arbeiter wieder profitabel zu machen. Die Gewerkschaftsführung hat die Ausweitung von Nacht- und Wochenendzustellung unterstützt und vorgeschlagen, dass die Post neue Dienstleistungen wie das Laden von Elektrofahrzeugen und Kontrollbesuche bei Senioren übernehmen soll, um die Einnahmen zu erhöhen. All diese Vorschläge stellen die Prämisse, dass die Post als profitables Unternehmen geführt werden soll, nicht in Frage.

Im Kampf der Postler ist die CUPW-Führung ein Gegner, der auf der Seite des Managements und der Regierung steht. Beispielhaft für diese Tatsache sind die Äußerungen des CUPW-Verhandlungsführers Jim Gallant, der am Donnerstag erklärte, die Aktionen der Arbeiter seien „organisch“, d.h. nicht unter der Kontrolle der Bürokratie: „Wir wollen das nicht.“

Streikende Flugbegleiter von Air Canada auf dem internationalen Flughafen Pierre-Elliott Trudeau in Montreal

Die Bürokraten fürchten offenbar, dass sich eine militante Bewegung außerhalb ihrer Kontrolle entwickeln könnte. Diese Angst ist angesichts der dramatischen Verschärfung des Klassenkampfs im Verlauf des letzten Jahres durchaus begründet. Die liberale Regierung hat mehrfach mit undemokratischen Streikverboten interveniert, u.a. gegen Hafenarbeiter, Eisenbahner und zuletzt gegen 10.500 Flugbegleiter von Air Canada. Im Gegensatz zu früheren Fällen, in denen die Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit zwingen konnte, leisteten die Flugbegleiter unerschrocken Wderstand.

Doch da ihnen eine organisierte Führung fehlte, die den Kampf ausgeweitet und der Kontrolle der Bürokratie entrissen hätte, reichte diese kämpferische Halutng nicht aus. Mit Hilfe des von der Regierung ernannten Schlichters William Kaplan, der nun auch den IIC-Bericht über Canada Post verfasst hat, handelte die Gewerkschaft des öffentlichen Diensts einen Deal aus, um den Streik zu sabotieren und die Forderungen des Unternehmens zu erfüllen. Den Flugbegleitern wurden sogar das Recht vorenthalten, über den Großteil des Ausverkaufsvertrags abzustimmen. Als trotzdem mehr als 99 Prozent die vorgeschlagene Einigung bei den Löhnen ablehnten, wurde ihnen ein Schlichtungsverfahren aufgezwungen.

Die Wiederaufnahme des Kampfs der Postler ist daher weit über den unmittelbaren Disput hinaus von Bedeutung. Genau wie der Kampf der Air-Canada-Arbeiter zeigt die Vorgeschichte des aktuellen Postlerstreiks, dass der Würgegriff der Gewerkschaftsbürokratie nach Jahrzehnten nachlässt. Er verdeutlicht außerdem, dass es sehr gute Voraussetzungen für eine starke Reaktion von anderen Teilen der Arbeiter gibt, wenn sich die Postler für die Ausweitung ihres Kampfs einsetzen.

Zu diesem Zweck müssen die Streikenden sofort Aktionskomitees schaffen, um die Kontrolle über den Kampf zu übernehmen und Forderungen zu formulieren, die auf den Bedürfnissen der Arbeiter basieren – ohne Rücksicht darauf, was das Management und die Minister für „vertretbar“ halten. Diese Komitees müssen den Kampf gegen die korporatistische Partnerschaft von Gewerkschaftsbürokratie, Unternehmensmanagement und Regierung aufnehmen, den kanadischen Nationalismus zurückweisen, auf dem sie basiert, und die Postler in den USA und überall auf Welt zur Unterstützung aufrufen.

Die Gewerkschaftsbürokratie agiert als Werkzeue des Staates. Sie kontrolliert die Belegschaft, kollaboriert mit dem Management und blockiert jede Bedrohung des Profitsystems. Die Gewerkschaftsführungen bemänteln ihre Rolle mit betrügerischem Gerede über ein „Team Kanada“, in dem angeblich Arbeiter und Bosse gegen Trump vereint sind. In Wirklichkeit gehören sie dem „Team“ an, das von der Finanzoligarchie gekauft, bezahlt und gesponsert wurde.

Die Grundlage für einen Kampf gegen die Angriffe auf alle Arbeiter ist ein möglichst enges Bündnis zwischen Postlern und anderen Teilen der Arbeiterklasse in den USA, Europa und weltweit. Überall sind Arbeiter mit den gleichen Gefahren konfrontiert: die Zerstörung von Arbeitsplätzen und Löhnen, Privatisierungen, Abschaffung des Streikrechts und anderer demokratischer Grundrechte, um Kriege zu finanzieren und die Interessen der kapitalistischen Oligarchie mit diktatorischen Mitteln durchzusetzen. In den USA will Trump den US Postal Service privatisieren, in Großbritannien sind die Beschäftigten der Royal Mail systematischen Angriffen ausgesetzt.

Das Postal Workers Rank-and-File Committee (PWRFC) wurde im Juni 2024 gegründet, um diesen Kampf zu führen. Es wies die Behauptung zurück, Canada Post müsse als profitorientiertes Unternehmen geführt werden, und forderte, dass alle Entscheidungen über den Betrieb, neue Technologien und Arbeitsbedingungen von der Belegschaft gefällt werden. Das Programm des Komitees sah eine sofortige 30-prozentige Lohnerhöhung vor, um die jahrzehntelangen Zugeständnisse auszugleichen. Es forderte volle Renten und Zusatzleistungen für alle Beschäftigten, ein Ende des Zweistufensystems bei Löhnen sowie die Abschaffung von Leiharbeit. Es betonte, Automatisierung und künstliche Intelligenz müssten eingesetzt werden, um die Arbeitsbelastung zu verringern und den Service zu verbessern, nicht jedoch um die Ausbeutung zu verschärfen. Canada Post solle als öffentlicher Versorgungsbetrieb finanziert werden, statt als Geldquelle für Aktionäre herzuhalten.

Das PWRFC gehört der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) an und appelliert an Logistikarbeiter und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in ganz Kanada und der Welt, sich an einem gemeinsamen Kampf gegen Austerität und Krieg zu beteiligen. Durch den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees und die Vereinigung der Kämpfe der Arbeiter über alle Grenzen hinweg können die Postler den Angriff der Liberalen abwehren und die Grundlage für eine umfassende Gegenoffensive der Arbeiterklasse schaffen.

Nur durch eine solche Bewegung können Arbeiter den öffentlichen Dienst verteidigen und angemessene Arbeitsplätze sichern. Der Kampf bei Canada Post wird darüber entscheiden, ob essenzielle Dienstleistungen öffentlich und für alle zugänglich bleiben oder dem Profitstreben der Konzerne geopfert werden.

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