Die türkische Sosyalist Eşitlik Partisi – Dördüncü Enternasyonal (Sozialistische Gleichheitspartei – Vierte Internationale), die in politischer Solidarität zum Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) steht, hielt vom 13. bis 15. Juni 2025 ihren Gründungsparteitag ab. Der offizielle Prozess der Parteigründung wurde im August abgeschlossen.
Der Gründungsparteitag im Juni verabschiedete einstimmig drei Resolutionen: die hier vorliegende „Grundsatzerklärung“ (das offizielle Parteiprogramm) und außerdem „Die historischen und internationalen Grundlagen der Sosyalist Eşitlik Partisi – Dördüncü Enternasyonal“ sowie die Satzung der Partei.
Die internationalen Aufgaben der Sosyalist Eşitlik Partisi
1. Die Sosyalist Eşitlik Partisi – Dördüncü Enternasyonal (Sozialistische Gleichheitspartei – Vierte Internationale) steht in Solidarität mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI), der Weltpartei der sozialistischen Revolution, die 1938 von Leo Trotzki gegründet wurde. Die Prinzipien der Sosyalist Eşitlik Partisi basieren auf den grundlegenden Erfahrungen der revolutionären Umbrüche des 20. Jahrhunderts und auf dem damit verbundenen Kampf der Marxisten für das Programm der sozialistischen Weltrevolution. Die sozialistische Revolution, die das energische Eintreten der Massen in den bewussten politischen Kampf darstellt, bedeutet die größte und fortschrittlichste Umgestaltung der Art und Weise, wie die menschliche Gesellschaft organisiert ist, in der Weltgeschichte: die Abschaffung der Klassengesellschaft und damit der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Eine derart enorme Umwälzung ist das Werk einer ganzen historischen Epoche. Die Prinzipien der Sosyalist Eşitlik Partisi ergeben sich aus den Erfahrungen dieser Epoche und verweisen notwendigerweise auf sie. Sie begann mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, auf den nur wenig später die Eroberung der Staatsmacht durch die russische Arbeiterklasse in der Oktoberrevolution 1917 folgte.
2. Die Vierte Internationale, mit der die Sosyalist Eşitlik Partisi eng verbunden ist, entstand aus dem unversöhnlichen Kampf, den marxistische Internationalisten unter Führung von Leo Trotzki gegen die bürokratische Entartung der Sowjetunion führten sowie gegen den Verrat am Programm der sozialistischen Weltrevolution durch das diktatorische Regime Stalins und seiner Handlanger. Politisch wurzelte dieser Verrat, der 1991 schließlich zur Auflösung der UdSSR führte, darin, dass das stalinistische Regime Internationalismus durch Nationalismus ersetzte. Die stalinistische Bürokratie war nicht das Produkt der Oktoberrevolution, sondern der beginnenden kapitalistischen Konterrevolution. Wie Trotzki nachwies, war die Bürokratie das „Werkzeug der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat“. Seither hat die Tatsache, dass sich die chinesischen, sowjetischen und osteuropäischen Stalinisten in unermesslich reiche Oligarchen verwandelt haben, diese Prognose Trotzkis eindrucksvoll bestätigt.
3. Die sozialistische Revolution ist international. Wie Trotzki schrieb: „Der Abschluss einer sozialistischen Revolution ist im nationalen Rahmen undenkbar. (…) [Sie] beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: Sie findet ihren Abschluss nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten.“[1] Dieses grundlegende Prinzip der Vierten Internationale, welches das Programm und die politische Identität der Sosyalist Eşitlik Partisi maßgeblich definiert, wurde im Kampf gegen die stalinistische „Theorie“ vom „Sozialismus in einem Land“ entwickelt. Die Strategie der Arbeiterklasse – in der Türkei wie in jedem Land – muss von einer Analyse der Weltbedingungen ausgehen. Die Ära der nationalen Programme endete mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Angesichts des kolossalen Wachstums und der globalen Integration der Weltwirtschaft, werden die nationalen Entwicklungen heute, mehr als einhundert Jahre später, von den Bedingungen der Weltwirtschaft und den Erfordernissen bestimmt, die sich aus den Rivalitäten zwischen den imperialistischen Ländern und den Kapitalisten ergeben. Daher muss und kann, wie Trotzki erklärte, „die nationale Orientierung des Proletariats (…) nur aus der internationalen Orientierung hervorgehen und nicht umgekehrt“[2].
4. Wo immer revolutionäre Kämpfe der Arbeiterklasse zuerst ausbrechen – ob in einem fortgeschrittenen oder weniger entwickelten kapitalistischen Land, in Europa, Asien, Afrika, Nord- oder Südamerika oder Australien und Südostasien – wird der gesellschaftliche Flächenbrand unweigerlich globale Dimensionen annehmen. Die sozialistische Revolution wird nicht und kann nicht im nationalen Rahmen vollendet werden. Sie wird in der Weltarena vollendet, wie Trotzki in seiner Theorie der permanenten Revolution voraussagte.
5. Das Programm der Sosyalist Eşitlik Partisi bringt die Interessen der Arbeiterklasse, der führenden und entscheidenden internationalen revolutionären Kraft in der modernen kapitalistischen Gesellschaft, zum Ausdruck. Die zentrale Aufgabe der Sosyalist Eşitlik Partisi besteht darin, die türkischen Arbeiter für das Programm des internationalen Sozialismus zu gewinnen. Auf der Grundlage dieses Programms strebt die Sosyalist Eşitlik Partisi danach, die Arbeiterklasse zur Eroberung der politischen Macht und zur Errichtung der Arbeitermacht in der Türkei zusammenzuschließen und zu mobilisieren. Dies wird die objektiven Voraussetzungen für den Aufbau einer wirklich demokratischen, egalitären und sozialistischen Gesellschaft schaffen.
6. Diese Ziele können nur im Rahmen einer internationalen Strategie verwirklicht werden, deren Ziel darin besteht, die Arbeiter aller Länder weltweit zu vereinigen und Vereinigte Sozialistische Staaten der Welt zu schaffen. Die Sosyalist Eşitlik Partisi arbeitet eng mit ihren Schwesterparteien im IKVI zusammen, um neue Sektionen der Weltpartei im Nahen Osten, in Zentralasien, in Europa und in anderen Regionen aufzubauen. Sie vertritt die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und des Nahen Ostens und lehnt deshalb die Mitgliedschaft in der kapitalistischen Europäischen Union ebenso ab wie die von den imperialistischen Mächten gezogenen künstlichen Grenzen im Nahen Osten.
Die Krise des Kapitalismus
7. Der Kapitalismus – und das auf ihm beruhende imperialistische System – ist die Hauptursache für Armut, Ausbeutung, Gewalt und Leid in der modernen Welt. Als sozioökonomisches System hat der Kapitalismus seine historisch fortschrittliche Rolle längst ausgespielt. Die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts mit seinen zwei Weltkriegen, unzähligen „lokalen” Konflikten, dem Albtraum des Nationalsozialismus und anderen Formen von Militär- und Polizeidiktatur sowie Völkermord und Pogromen ist eine unwiderlegbare Anklage gegen das kapitalistische System. Die Zahl der Opfer jener Gewalt, deren Motive aus dem Kapitalismus entspringt, beläuft sich auf Hunderte Millionen. Und diese Zahl umfasst noch nicht die Abermillionen Menschen aus den Völkern ganzer Kontinente, die dauerhaft in Armut und das damit verbundene Elend gezwungen werden.
8. Das gigantische Ausmaß der bestehenden Produktivkräfte sowie die außerordentlichen Fortschritte in Wissenschaft und Technologie sind mehr als ausreichend, um nicht nur Armut vollständig zu beseitigen, sondern auch um jedem Menschen auf der Welt einen hohen Lebensstandard zu garantieren. Die Menschheit kann dieses Wohlstandsniveau jedoch nur erreichen, indem sie den Fortbestand von Leben und Ressourcen auf dem Planeten sicherstellt. Das kann sie nur, wenn die Arbeiterklasse die Kontrolle über die bestehenden Produktivkräfte übernimmt. Unter den Bedingungen von materiellem Reichtum, der größer ist als je zuvor, müsste die Kultur eigentlich erblühen. Doch stattdessen verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, und die menschliche Kultur steckt, jeder Perspektive und Hoffnung beraubt, in einer tiefen Krise. Der Ursprung dieses Widerspruchs zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, liegt in einem globalen Wirtschaftssystem, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht, sowie der Aufteilung der Welt in rivalisierende Nationalstaaten.
9. Alle Bemühungen, den Lebensstandard der Arbeiterklasse zu erhöhen und ernste soziale Probleme zu lösen, stoßen auf die Barrieren des Privateigentums an den Produktionsmitteln, der Anarchie des kapitalistischen Marktes, der ökonomischen Zwänge des Profitsystems und nicht zuletzt der unersättlichen Geldgier der herrschenden Klasse. Die Behauptung, der kapitalistische Markt sei ein unfehlbarer Mechanismus zur Zuweisung von Ressourcen und ein über alle Maßen weiser Schiedsrichter der gesellschaftlichen Bedürfnisse, ist vollkommen diskreditiert. Dafür sorgten die milliardenschweren Insolvenzen, die das Weltwirtschaftssystem nach der Krise von 2008 in seinen Grundfesten erschütterten, sowie die Ausschüttung von Billionen Dollar in die globalen Finanzmärkte nach der Corona-Pandemie. Die Grenze zwischen „legitimen” Finanztransaktionen und kriminellem Betrug ist mittlerweile so verschwommen, dass sie kaum noch zu erkennen ist. Die Abkopplung persönlicher Bereicherung von der Produktion und der Schaffung realer Werte ist ein Ausdruck des allgemeinen Verfalls des kapitalistischen Systems. Die enorme Aufblähung des Aktienmarktes durch Spekulation und Finanzialisierung hat zu beispielloser sozialer Ungleichheit geführt: Eine Handvoll Menschen besitzt heute mehr Reichtum als die untere Hälfte der Weltbevölkerung.
10. Welche tödlichen Folgen das kapitalistische System, das auf Privateigentum an Produktionsmitteln und der Aufteilung der Welt in rivalisierende Nationalstaaten beruht, für die Menschheit hat, zeigte sich in der Corona-Pandemie auf dramatische Weise. Die Pandemie ist, ähnlich wie der Erste Weltkrieg, ein „auslösendes Ereignis“, das die tiefen Widersprüche des globalen kapitalistischen Systems verschärft und beschleunigt. Die Gesundheitskrise verwandelte sich – als Folge jener Politik der herrschenden Klassen, bei der der Profit über Menschenleben gestellt wurde – zwangsläufig in eine globale soziale und politische Krise. Die globale Pandemie hat sich in einen globalen Klassenkampf verwandelt, denn immer deutlicher zeigt sich, dass die Hauptklassen der Gesellschaft – die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse – gegensätzliche Interessen haben, zwischen denen kein Kompromiss möglich ist.
11. Die stümperhafte, unberechenbare und unmenschliche Reaktion auf die Pandemie hat sowohl die Inkompetenz und den kriminellen Charakter der Regierungen in jedem Land als auch den politischen und moralischen Bankrott des Kapitalismus und der herrschenden Eliten offengelegt. Trotz der enormen Gesundheitsgefahren, die von der Ausbreitung der Pandemie ausgingen und von denen vor allem die Arbeiterklasse betroffen war, konzentrierte sich die herrschende Klasse fast ausschließlich auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, das heißt darauf, wie sich die Pandemie auf den Aktienmarkt und den persönlichen Reichtum der reichsten ein bis fünf Prozent der Gesellschaft auswirken würde. Anstatt die Pandemie einzudämmen und den Tod von Millionen Menschen zu verhindern, sorgten sich die herrschenden Klassen auf der ganzen Welt um ihre Profite und Interessen. Während Millionen starben und Milliarden sich mit Covid-19 infizierten, mit entsprechend langwierigen Folgen, fiel die Arbeiterklasse auch den verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zum Opfer.
12. Die Zero-Covid-Politik in China hat bewiesen, dass die Krankheit eingedämmt und eliminiert werden kann. Eine globale Pandemie kann jedoch naturgemäß nur auf globaler Ebene beendet werden. Dieses Ziel kann nur durch die unabhängige politische Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse erreicht werden und nicht durch die Bourgeoisie, die eine globale Antwort auf die Pandemie ablehnt und Menschenleben dem privaten Profit und den geopolitischen Interessen rivalisierender Nationalstaaten unterordnet. Die Sosyalist Eşitlik Partisi kämpft zusammen mit ihren Schwesterparteien im IKVI für eine globale Eliminierungsstrategie, um Leben zu retten und die Covid-19-Pandemie zu beenden. Als Teil dieses Kampfes unterstützt sie den Global Workers Inquest – die Untersuchung über die Covid-19-Pandemie, die das IKVI ins Leben gerufen hat.
13. Die Sosyalist Eşitlik Partisi betont, dass die Milliardäre in der Gesundheitsbranche enteignet und Impfstoffe patentfrei und für alle zugänglich gemacht werden müssen, damit das Potenzial von Wissenschaft und Technologie im Interesse der Menschheit voll genutzt werden kann. Pharmaunternehmen sowie private Krankenhäuser müssen in öffentliches Eigentum überführt werden, das der demokratischen Kontrolle durch die Arbeiterklasse untergeordnet ist.
14. Der unversöhnliche Konflikt zwischen dem Profitsystem und dem Überleben der Menschheit findet seinen buchstäblich schädlichsten Ausdruck in der Krise von Klima und Umwelt. Für diese Krise ist nicht, wie von den bürgerlichen Medien fälschlicherweise behauptet, das Bevölkerungswachstum verantwortlich. Sie ist auch nicht das Ergebnis von Wissenschaft und Technik, deren Entwicklung für den Fortschritt der menschlichen Zivilisation entscheidend ist, sondern vielmehr des Missbrauchs der technischen Errungenschaften in einer irrationalen und überholten Wirtschaftsordnung. Die Unmöglichkeit, innerhalb des Profitsystems eine echte Lösung für das immer drängendere Problem des Klimawandels und anderer Umweltprobleme zu finden, ist eine „unbequeme Wahrheit“, die selbst jene bürgerlichen Politiker leugnen, die angeblich über den Zustand der Umwelt besorgt sind. Alle wissenschaftlichen Beweise deuten darauf hin, dass nur eine sozialistische Reorganisation der Weltwirtschaft den Ausstoß von Treibhausgasen so weit reduzieren kann, wie es zur Abwendung einer Katastrophe nötig ist. Nur in einer solchen Wirtschaft wird es möglich sein, die Umwelt des Planeten aus jener Geiselhaft zu befreien, in die sie entweder durch das Profitstreben oder destruktive nationalistische Interessen gebracht wurde.
15. Die Lösung für die grassierende Wirtschaftskrise und die immer schlimmere soziale Lage der Arbeiterklasse liegt nicht in der Reform des Kapitalismus, denn er ist nicht mehr zu reformieren. Die Krise hat einen systemischen und historischen Charakter. So wie der Feudalismus dem Kapitalismus weichen musste, muss heute der Kapitalismus dem Sozialismus weichen. Die wichtigsten industriellen, finanziellen, technologischen und natürlichen Ressourcen müssen dem Bereich des kapitalistischen Markts und des Privateigentums entnommen und der Gesellschaft übertragen werden. Sie müssen unter die demokratische Aufsicht und Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt werden. Die Organisation der Wirtschaft auf der Grundlage des kapitalistischen Wertgesetzes muss durch eine sozialistische Organisation abgelöst werden, die auf demokratischer Planung beruht und der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse dient.
Imperialismus und Krieg
16. Das Wirtschaftssystem ist zwar global verbunden und Industrie und Finanzwelt werden von transnationalen Konzernen beherrscht, doch trotzdem wurzelt der Kapitalismus weiterhin in einem System von Nationalstaaten. Letztendlich dient der Nationalstaat der herrschenden Klasse jedes Landes als Ausgangsbasis für die Verteidigung ihrer Interessen in der Weltarena. Der unkontrollierbare Drang der wichtigsten imperialistischen Staaten – allen voran der Vereinigten Staaten – nach geopolitischer Vorherrschaft, Einflusssphären, Märkten, Kontrolle über wichtige Ressourcen und Zugang zu billigen Arbeitskräften führt unausweichlich zum Krieg.
17. Die Sosyalist Eşitlik Partisi lehnt den Einsatz militärischer Gewalt durch die imperialistischen Länder und ihre lokalen kapitalistischen Verbündeten ab, ganz gleich, ob sie ihre Ziele unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“ oder für die „Menschenrechte“ verfolgen. Die Regierung und die Medien bezeichnen all jene als „Terroristen“, die sich der Besetzung ihres Landes durch ausländische Armeen widersetzen. Die Sosyalist Eşitlik Partisi verurteilt diese Verleumdung im Interesse des Imperialismus und verteidigt das grundlegende Recht der Menschen, sich selbst, ihre Häuser und ihr Land gegen neokoloniale Invasoren zu verteidigen. Dieser prinzipielle Standpunkt ändert nichts daran, dass die Sosyalist Eşitlik Partisi Gewalttaten ablehnt, die sich gegen unschuldige Zivilisten in den besetzten Ländern oder anderswo auf der Welt richten. Solche Taten, die man legitimerweise als „terroristisch“ bezeichnen kann, sind politisch reaktionär. Der Mord an unschuldigen Zivilisten empört, desorientiert und verwirrt die Öffentlichkeit. Er verschärft ethnische und religiöse Spannungen in den besetzten Ländern und untergräbt auf internationaler Ebene den Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse. Er spielt jenen Elementen in den imperialistischen und kapitalistischen Ländern in die Hände, die solche Ereignisse nutzen, um Militäreinsätze zu rechtfertigen.
18. Seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 ist die gesamte Welt in einen Strudel des imperialistischen Krieges geraten, der immer weiter um sich greift. Die von den USA angeführten imperialistischen Mächte und ihre regionalen Verbündeten, wie die Türkei, haben zahlreiche Länder verwüstet – von Afghanistan über den Irak bis nach Syrien, Libyen und zum Jemen. Das Resultat sind Millionen Tote und dutzende Millionen Flüchtlinge. Mehr als dreißig Jahre der imperialistischen Aggression sowie die Nato-Osterweiterung, die sich gegen Russland richtete, führten im Februar 2022 zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Der Kriegskurs der imperialistischen Mächte unter Führung der USA für eine Neuaufteilung der Welt, der sich in erster Linie gegen Russland und China richtet, hat sich nun zu einem Krieg mit Russland entwickelt. Nur die massenhafte Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg, die sich auf ein sozialistisches Programm stützt, kann die wachsende Gefahr eines nuklearen Dritten Weltkriegs bannen.
19. Die türkische herrschende Klasse hat die Kriege für Regimewechsel in Libyen und Syrien unterstützt, die die imperialistischen Nato-Mächte begonnen haben. Mit diesen Kriegen reagierten die Imperialisten auf die revolutionären Aufstände der Arbeiterklasse in Tunesien und Ägypten im Jahr 2011. Die herrschende Klasse der Türkei, die der Nato-Allianz treu ergeben ist, betrachtet das Manövrieren zwischen den USA bzw. der Nato einerseits und Russland und China andererseits, aber auch offene oder verdeckte militärische Interventionen als Hauptmittel, um ihre Interessen voranzutreiben, während sich der Kampf um die Neuverteilung natürlicher Ressourcen und geopolitischer Einflusssphären im Nahen Osten, im östlichen Mittelmeer, in Nordafrika und im Kaukasus entwickelt. Als Bestandteil eines umfassenden imperialistischen Kurses zur Neuaufteilung der Welt lebt auch der alte Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland wieder auf, wodurch die Gefahr eines direkten militärischen Zusammenstoßes mit unabsehbaren Folgen heraufzieht. Die Sosyalist Eşitlik Partisi ruft die türkische und die griechische Arbeiterklasse auf, den Militarismus und Nationalismus „ihrer” jeweiligen herrschende Klassen abzulehnen und ihre Kräfte auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms zu vereinigen. Ein wesentlicher Teil dieses Kampfes ist die Forderung, die Nato zu verlassen und die Stützpunkte dieser imperialistischen Kriegsallianz zu schließen.
20. Die Sosyalist Eşitlik Partisi fordert den sofortigen Abzug der Besatzungstruppen auf Zypern, in Palästina, Syrien, Libyen, dem Irak, dem Jemen, Afghanistan und allen anderen unterdrückten Ländern. Die Sosyalist Eşitlik Partisi lehnt die Beteiligung der türkischen herrschenden Klasse an diesen Kriegen, Interventionen und Besatzungen in der Region ab. Sie warnt die Massen vor der Gefahr, die weltweit von der Aggression der USA und ihrer imperialistischen Verbündeten in der Nato ausgeht und insbesondere Russland und China ins Visier nimmt, um die riesige eurasische Landmasse zu beherrschen. Sie fordert ein Ende der imperialistischen Aggression gegen den Iran und andere Akteure, die als Hindernisse für die Interessen des US-Imperialismus und des zionistischen Israel in der Region angesehen werden. Die Sosyalist Eşitlik Partisi ermutigt und unterstützt größtmögliche Massenproteste gegen den Militarismus und die Kriegspläne der imperialistischen Mächte und ihrer kapitalistischen Verbündeten. Da die Ursachen des Krieges jedoch in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft und ihrer politischen Aufspaltung in Nationalstaaten liegen, kann der Kampf gegen imperialistischen Militarismus und Krieg nur in dem Maße erfolgreich sein, in dem es gelingt, die Arbeiterklasse auf der Grundlage einer internationalen revolutionären Strategie zu mobilisieren. Eine Massenbewegung gegen Krieg muss sich der bankrotten Perspektive entgegenstellen, von Regierungen einen Politikwechsel zu verlangen, und sich stattdessen zum Ziel setzen, dass die Arbeiterklasse die Macht ergreift und den Kapitalismus, die Ursache von Krieg, abschafft.
21. Die Sosyalist Eşitlik Partisi übernimmt die folgenden Prinzipien des IKVI als die wesentlichen politischen Grundlagen für eine Antikriegsbewegung:
- Der Kampf gegen Krieg muss von der Arbeiterklasse ausgehen, die als große revolutionäre Kraft der Gesellschaft alle fortschrittlichen Teile der Bevölkerung hinter sich vereint.
- Die neue Bewegung gegen Krieg muss antikapitalistisch und sozialistisch sein, denn man kann nicht ernsthaft gegen Krieg kämpfen, ohne danach zu streben, der Diktatur des Finanzkapitals und dem Wirtschaftssystem, das die Ursache für Militarismus und Krieg ist, ein Ende zu bereiten.
- Daher muss die neue Antikriegsbewegung unbedingt vollkommen unabhängig sein von allen politischen Parteien und Organisationen der Kapitalistenklasse und diese ablehnen.
- Vor allem muss die neue Antikriegsbewegung international sein und dem Imperialismus in einem vereinten globalen Kampf die enorme Kraft der Arbeiterklasse entgegenstellen. Dem ständigen Krieg der Bourgeoisie muss die Arbeiterklasse mit der Perspektive der permanenten Revolution begegnen, die als strategisches Ziel die Abschaffung des Nationalstaatensystems und die Errichtung einer sozialistischen Weltföderation anstrebt. Auf diese Weise können die globalen Ressourcen auf rationale, planmäßige Weise erschlossen werden, um die Armut zu überwinden und die Kultur der Menschheit aufblühen zu lassen.
Kapitalistischer Staat, Demokratie und Arbeitermacht
22. Die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung eines sozialistischen Programms ist die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und die Errichtung eines Arbeiterstaates. Die Arbeiterklasse muss im Kampf um die Macht alle demokratischen Rechte und gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Die historische Erfahrung zeigt jedoch, dass eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft im Rahmen der bestehenden bürgerlichen Institutionen nicht möglich ist. Die klassische marxistische Definition des Staates als Instrument der Klassenherrschaft, das „nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art“[3] (Engels) besteht, ist heute sogar noch treffender als vor 100 Jahren. Der Staat ist, entgegen der Behauptung von Reformisten, kein neutraler Schlichter sozialer Konflikte. Allein seine Existenz zeugt davon, dass die Gesellschaft in unversöhnlich gegensätzliche Klassen gespalten ist. Der bürgerliche Staat ist für die Kapitalistenklasse das Instrument, mit dem sie ihre politische Diktatur aufrechterhält. Selbst auf juristischer Ebene behält sich die Bourgeoisie das Recht vor, in der Verfassung festgeschriebene Grundrechte und Verfahren außer Kraft zu setzen, wenn sie ihre grundlegenden Klasseninteressen bedroht sieht.
23. Der Putschversuch des Militärs in der Türkei vom 15. Juli 2016, der von den Nato-Mächten unterstützt wurde, war eine ernste Warnung an die türkische und internationale Arbeiterklasse. Der Putsch wurde letztlich durch den Widerstand der Massen vereitelt. Doch darauf folgte nicht die „Wiederbelebung der Demokratie“, sondern der Aufbau eines Präsidialregimes, das immer mehr demokratische Grundrechte abschafft. Dem weltweiten Zusammenbruch demokratischer Herrschaftsformen liegen die geopolitischen und Klassenspannungen zugrunde, die aus der Krise des Weltkapitalismus und der immer größeren sozialen Ungleichheit erwachsen. Die herrschenden Klassen, die sich auf Krieg im Ausland und auf die Unterdrückung der Arbeiterklasse im Inland vorbereiten, fördern in jedem Land die extreme Rechte und wenden sich autoritären Herrschaftsformen zu.
24. Auch wenn der türkische Staatsapparat heute Demokratie predigt, um seine Herrschaft innerhalb der Türkei zu legitimieren und seine Militäroperationen im Ausland zu rechtfertigen, verfügt er über Unterdrückungsmechanismen in beispiellosem Umfang, die angeblich dem „Krieg gegen den Terror“ dienen: ein Gefängnissystem, in dem tausende politische Gefangene hinter Gittern sitzen; eine riesige und schwer bewaffnete Polizei; ein Rechtssystem, das selbst die bürgerlichen Rechtsnormen mit Füßen tritt und von politischen Urteilen geprägt ist; eine Regierungsform, die den Ausnahmezustand zum Normalzustand macht; eine enorm mächtiges und verschwenderisch ausgestattetes Militär, in dem ein militaristisches, demokratiefeindliches Klima herrscht; und ein riesiger „nationaler Sicherheitsapparat“, der mit außerordentlichen Vollmachten ausgestattet ist. Über all diese Institutionen hat die Bevölkerung praktisch keinerlei wirksame Kontrolle.
25. Demokratische Rechte, die in der Vergangenheit erkämpft wurden, sind drastisch ausgehöhlt worden. Unter Demokratie wird die Herrschaft der Reichen, durch die Reichen und für die Reichen verstanden. Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, wird durch antidemokratische Wahlgesetze vereitelt, die verhindern, dass das Monopol bürgerlicher Parteien, die die Gunst der imperialistischen Mächte und der Großkonzerne genießen, durchbrochen wird. Die bestehende Wahlordnung schließt eine wirksame Beteiligung von Parteien aus, die dem politischen Establishment entgegentreten. Der Einsatz von sogenannten „Treuhändern“, die dieses grundlegende demokratische Recht missachten, ist zur Normalität geworden. Wahlhürden, Finanzhilfen und die Gesetze, die die Wahlteilnahme regeln, wurden so gestaltet, dass sie eine Herausforderung der bürgerlichen Herrschaft verhindern. Auch die Pressefreiheit verliert ihre Bedeutung, wenn die wichtigsten Medien von mächtigen Wirtschaftsinteressen kontrolliert werden. Darüber hinaus wird das Internet, das die Verbreitung alternativer Meinungen möglich gemacht hat, zunehmend einer harschen Regulierung und Zensur unterworfen.
26. Die Verteidigung demokratischer Rechte ist untrennbar mit dem Kampf für Sozialismus verbunden. Es kann keine Demokratie ohne Sozialismus geben, so wie es keinen Sozialismus ohne Demokratie geben kann. Politische Gleichheit ist ohne ökonomische Gleichheit unmöglich. Wie der Kampf gegen Krieg, so erfordert auch der Kampf zur Verteidigung und Ausweitung demokratischer Rechte die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse, die auf der Grundlage eines sozialistischen Programms für die Machteroberung kämpft. Die Verflechtung des Kampfs für Demokratie und Sozialismus unterstreicht die Bedeutung von Leo Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, insbesondere in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung wie der Türkei. Die Korrektheit von Trotzkis Theorie wird durch die historischen Lehren des 20. Jahrhunderts und der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts bewiesen:
- In keinem Land der Welt, einschließlich aller unterdrückten Länder sowie der ehemaligen Kolonien und Halbkolonien, spielen die herrschende Kapitalistenklasse oder ihre politischen Vertreter noch eine progressive Rolle.
- In allen Ländern ist die Arbeiterklasse die einzige revolutionäre Kraft, die in der Lage ist, ein demokratisches Programm kompromisslos umzusetzen und zu verteidigen. Der Kampf für Demokratie mit dem Kampf für Sozialismus und Arbeitermacht auf internationaler Ebene eng verbunden.
- In jedem Land muss der Kampf von einer internationalen Strategie ausgehen. So kann auch den Arbeitern in der Türkei die sozialistische Revolution nur gelingen, wenn sie die gesamte Arbeiterklasse im Nahen Osten, im Kaukasus, auf dem Balkan und weltweit, ungeachtet ihrer Nationalität oder Religion, mobilisieren und für den gemeinsamen Kampf gewinnen können – für Sozialismus und gegen die herrschenden Klassen der Region sowie ihre imperialistischen Herren.
27. Für die Errichtung der Arbeitermacht ist weitaus mehr nötig, als nur sozialistische Kandidaten in die bestehenden Gremien des bürgerlichen Staats zu wählen. Neue Formen und Strukturen einer Demokratie mit wirklicher Mitwirkung entstehen im Verlauf revolutionärer Massenkämpfe und repräsentieren die Arbeiter und damit die Mehrheit der Bevölkerung. Diese Formen und Strukturen müssen als Fundamente einer Arbeiterregierung entwickelt werden, das heißt einer Regierung der Arbeiter, für die Arbeiter und durch die Arbeiter. Parallel zur Einführung von Maßnahmen, die für die sozialistische Umgestaltung des Wirtschaftslebens grundlegend sind, würde eine solche Arbeiterregierung mit ihrer Politik dafür sorgen, dass die demokratische Beteiligung und Kontrolle der Arbeiterklasse in den Entscheidungsprozessen stark ausgeweitet und aktiv vorangetrieben wird. Sie würde bestehende Gremien abschaffen, die die demokratischen Prozesse beschränken und in denen die Verschwörung gegen die Bevölkerung ihre Zentren hat. Solche und andere notwendigen Veränderungen, die zutiefst demokratisch sind und über die die arbeitende Bevölkerung selbst bestimmen wird, sind nur möglich im Kontext der Massenmobilisierung einer von sozialistischem Bewusstsein erfüllten Arbeiterklasse.
Die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse
28. Der Kampf um die Macht erfordert die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von allen Parteien, politischen Vertretern und Erfüllungsgehilfen der Kapitalistenklasse. Die Arbeiterklasse kann nicht an die Macht gelangen und ein sozialistisches Programm verwirklichen, wenn ihre Hände durch Kompromisse mit den politischen Vertretern anderer Klasseninteressen gebunden sind. Das bedeutet vor allem, das abgedroschene Märchen zurückzuweisen, dass die bürgerlichen Oppositionsparteien im Vergleich zu den regierenden Parteien das „kleinere Übel“ darstellten. Eine der wichtigsten politischen Aufgaben der Sosyalist Eşitlik Partisi besteht darin, einen entschiedenen und unwiderruflichen Bruch der Arbeiterklasse mit dem gesamten kapitalistischen Establishment zu fordern, zu ermutigen und zu unterstützen.
29. Die Sosyalist Eşitlik Partisi beurteilt andere politische Organisationen aufgrund ihrer Geschichte, ihres Programms, ihrer Perspektive sowie ihrer Klassengrundlage und -orientierung, und nicht aufgrund ihrer Haltung zu dieser oder jener Einzelfrage. Die Aufgabe ihrer langfristigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen zugunsten von Bündnissen, die kurzlebigen Erfolgen an der Wahlurne dienen, hat die Arbeiterklasse immer wieder in eine politische Sackgasse geführt. Tragische Beispiele für die Folgen einer derartigen Politik sind die Volksfrontbündnisse, welche die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien in den 1930er Jahren eingingen. Sie opferten die historischen Interessen der Arbeiterklasse einer breiten Koalition, die mehrere Klassen mit unvereinbaren gesellschaftlichen Interessen umfassten, und lähmten deshalb die Arbeiterklasse.
Gegen Opportunismus
30. Die Sosyalist Eşitlik Partisi behandelt alle politischen Fragen und die Wahl der jeweils geeigneten Taktik vom Standpunkt der elementaren Interessen der Arbeiterklasse. Sie stützt sich dabei auf ein wissenschaftliches Verständnis der Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Systems und der politischen Dynamik der Klassengesellschaft sowie auf die Lehren aus der Geschichte, die systematisch studiert werden müssen. Damit steht die SEP in unversöhnlichem Gegensatz zum Opportunismus, der die langfristigen Interessen der Arbeiterklasse kurzfristigen taktischen Erfolgen opfert. Opportunisten rechtfertigen ihre Zurückweisung von Prinzipien regelmäßig damit, dass sie „Realisten“ seien, die sich nicht von „unflexiblen“ Dogmen leiten ließen, sondern verstehen würden, wie man seine Praxis an die Erfordernisse einer gegebenen Situation anpasst. Eine solche „realistische” Praxis endet regelmäßig in einer Katastrophe – gerade weil sie auf einer oberflächlichen, impressionistischen, unmarxistischen und infolgedessen unrealistischen und falschen Einschätzung der objektiven Bedingungen und der Dynamik des Klassenkampfs beruht.
31. Opportunismus ist jedoch nicht einfach das Ergebnis intellektueller und theoretischer Fehler. Er hat gesellschaftliche und ökonomische Wurzeln. Er entwickelt sich innerhalb der Arbeiterbewegung als Ergebnis des Drucks feindlicher Klassen. Alle bedeutenden Erscheinungsformen des Opportunismus lassen sich auf den Einfluss bürgerlicher und kleinbürgerlicher Kräfte auf die Arbeiterklasse zurückführen. Das gilt für den Opportunismus Bernsteins, der sich Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen Sozialdemokratie entwickelte, ebenso wie für den Opportunismus Stalins, der in den 1920er Jahren innerhalb der bolschewistischen Partei entstand, bis hin zum Opportunismus Pablos und Mandels, der sich Anfang der 1950er Jahre in der Vierten Internationale ausbreitete, und dem der britischen Workers Revolutionary Party, der Mitte der 1980er Jahre zu ihrem Bruch mit dem IKVI führte. Die Auseinandersetzung mit solchen Strömungen ist keine Ablenkung vom Parteiaufbau, sondern die höchste Form des Kampfs für den Marxismus in der Arbeiterklasse.
Sozialistisches Bewusstsein und die Krise der Führung
32. Revolutionäres sozialistisches Bewusstsein ergibt sich nicht spontan aus dem Klassenkampf. Die Sosyalist Eşitlik Partisi, die in politischer Solidarität mit dem IKVI steht, verteidigt diese Auffassung des klassischen Marxismus, die von Lenin beim Aufbau der bolschewistischen Partei systematisch entwickelt und von Trotzki im Kampf für die Gründung und den Aufbau der Vierten Internationale weiter ausgearbeitet wurde. Sozialistisches Bewusstsein setzt ein wissenschaftliches Verständnis der Gesetze der Geschichte und der kapitalistischen Produktionsweise voraus. Dieses Verständnis muss in die Arbeiterklasse hineingetragen werden und das ist die Hauptaufgabe der marxistischen Bewegung. Das meinte Lenin, als er in seinem Werk „Was tun?“ schrieb: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“[4] Ohne Verbreitung der marxistischen Theorie durch die revolutionäre Partei bleibt das Bewusstsein der Arbeiterklasse auf gewerkschaftlichem Niveau, d. h. auf dem Niveau ihres „bürgerlichen Bewusstseins“ (Lenin). Spott über den Kampf für revolutionäres Bewusstsein, häufig gepaart mit Angriffen auf ein intellektuelles oder marxistisches „Elitedenken“, sind typische Merkmale reaktionärer Akademiker und politischer Opportunisten.
33. Der Sieg des Sozialismus – und damit das Überleben und die Weiterentwicklung der menschlichen Zivilisation – erfordert den Aufbau der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution, auf der Grundlage marxistischer Theorie. Der Sozialismus ist nicht einfach das zwangsläufige Ergebnis eines unbewussten historischen Prozesses. Die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts widerlegt eine derart fatalistische Auffassung. Sie stellt eine Karikatur der deterministischen Elemente des historischen Materialismus dar und hat nichts gemein mit der dynamischen Interaktion von Erkenntnis, Theorie und Praxis, wie sie im Werk von Marx, Engels, Lenin und Trotzki beispielhaft zum Ausdruck kommt. Der Kapitalismus überlebte das 20. Jahrhundert nicht, weil die objektiven Bedingungen nicht reif genug für den Sozialismus waren, sondern weil die Führung der Arbeiterparteien „nicht reif genug“ für die sozialistische Revolution war. Die Arbeiterklasse führte große Kämpfe, aber sie endeten in Niederlagen, weil sie von den Stalinisten, Sozialdemokraten und Zentristen in die Irre geleitet wurden.
34. Der Kapitalismus hat überlebt, weil die Arbeiterklasse von ihren eigenen Organisationen, den politischen Massenparteien und den Gewerkschaften, verraten wurde. „Die politische Weltlage als Ganzes ist vor allem durch eine historische Krise der proletarischen Führung gekennzeichnet.“[5] Diese Worte, die Leo Trotzki im Gründungsdokument der Vierten Internationale an den Anfang stellte, sind bis heute von größter Bedeutung für das Verständnis der gegenwärtigen politischen Realität. Es gibt heute auf der ganzen Welt keine einzige Massenorganisation, die sich als Gegnerin der kapitalistischen Weltordnung versteht, geschweige denn die Arbeiterklasse zum revolutionären Kampf aufruft. Dies hat zu einer unwirklichen Situation geführt, in der die Wut und Unzufriedenheit der Arbeiterklasse von den alten, politisch verkalkten Organisationen unterdrückt werden. Aber wie Trotzki ebenfalls im Gründungsdokument der Vierten Internationale, dem „Übergangsprogramm“, schrieb: „Die Orientierung der Massen ist einerseits von den objektiven Bedingungen des faulenden Kapitalismus, andererseits durch die verräterische Politik der alten Arbeiterorganisationen bestimmt. Entscheidend ist von diesen beiden Faktoren natürlich der erste: Die Gesetze der Geschichte sind stärker als die bürokratischen Apparate.“[6]
Marxistische Theorie und die Arbeiterklasse
35. Die Widersprüche des kapitalistischen Systems treiben die Arbeiterklasse in Kämpfe, die eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft auf die Tagesordnung setzen. Diese Kämpfe werden einen ausgesprochen internationalen Charakter annehmen, der sich objektiv aus der enormen weltweiten Integration der Produktivkräfte ergibt. Daher besteht die strategische Aufgabe der modernen Epoche darin, die Arbeiter aller Länder zur entscheidenden revolutionären Kraft zusammenzuschließen.
36. Die Sosyalist Eşitlik Partisi stützt ihre Tätigkeit auf eine Analyse der objektiven Gesetze der Geschichte und Gesellschaft, wie sie sich in den Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise äußern. Der Marxismus, der seine Wurzeln im philosophischen Materialismus hat, geht vom Primat der Materie über das Bewusstsein aus. Für Marx ist „das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle“[7]. Sein Materialismus ist dialektisch. Er betrachtet die materielle Welt und ihre Widerspiegelung im Denken nicht als Ansammlung fester, in sich undifferenzierter Objekte und Begriffe, sondern als Ablauf von Prozessen mit widersprüchlichen und gegensätzlichen Tendenzen, die sich ständig verändern und aufeinander einwirken.
37. Die Sosyalist Eşitlik Partisi strebt danach, den fortgeschrittenen Teilen der Arbeiterklasse ein wissenschaftliches Verständnis der Geschichte, der kapitalistischen Produktionsweise und der gesellschaftlichen Beziehungen, die sie hervorbringt, sowie des Charakters der gegenwärtigen Krise und ihrer welthistorischen Folgen zu vermitteln. Sie strebt danach, das objektiv vorhandene Potenzial für die soziale Revolution in eine klassenbewusste politische Bewegung zu verwandeln. Ausgehend von einer historisch-materialistischen Analyse der internationalen Ereignisse bereitet sich die SGP auf eine Verschärfung der kapitalistischen Weltkrise vor, deckt die Logik der Ereignisse auf und formuliert eine angemessene strategische und taktische Antwort darauf. Die Sosyalist Eşitlik Partisi besteht darauf, dass die progressive und sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft nur durch Massenkämpfe der politisch bewussten Arbeiterklasse erreicht werden kann. Einzelne Individuen, die zu Gewalt greifen, können niemals den kollektiven Kampf der Arbeiterklasse ersetzen. Wie die politische Erfahrung zeigt, gehen Akte individueller Gewalt häufig von Provokateuren aus und spielen dem Staat in die Hände.
38. Die Sosyalist Eşitlik Partisi hält unter allen Umständen an dem revolutionären Grundsatz fest, der Arbeiterklasse zu sagen, was ist. Ihr Programm stützt sich auf eine wissenschaftliche und objektive Einschätzung der politischen Wirklichkeit. Die heimtückischste Form des Opportunismus ist jene, die ihr Dasein damit rechtfertigt, dass die Arbeiter für die Wahrheit nicht bereit seien, dass die Marxisten vom bestehenden Bewusstseinsstand der Massen – oder, genauer gesagt, was sich die Opportunisten darunter vorstellen – ausgehen und ihr Programm an die vorherrschende Verwirrung anpassen müssten. Diese feige Herangehensweise ist das Gegenteil von revolutionärer Politik. „Das Programm“, erklärte Trotzki 1938, „muss eher die objektiven Aufgaben der Arbeiterklasse als die Rückständigkeit der Arbeiter ausdrücken. Es muss die Gesellschaft so widerspiegeln, wie sie ist, und nicht die Rückständigkeit der Arbeiterklasse. Es ist ein Werkzeug, die Rückständigkeit zu überwinden und zu besiegen. Deshalb müssen wir in unserem Programm die sozialen Krisen der kapitalistischen Gesellschaft, einschließlich und gerade in den Vereinigten Staaten, in ihrer ganzen Schärfe ausdrücken.“ Die wichtigste Verantwortung der Partei sei es, „ein klares, aufrichtiges Bild der objektiven Lage und der historischen Aufgaben [zu] geben, die sich aus ihr ergeben, unabhängig davon, ob die Arbeiter heute dafür reif sind oder nicht. Unsere Aufgaben hängen nicht vom Bewusstsein der Arbeiter ab. Unsere Aufgabe besteht darin, das Bewusstsein der Arbeiter zu entwickeln. Das ist es, was das Programm formulieren und den fortgeschrittenen Arbeitern darlegen sollte.“[8] Das ist auch der Ansatz der Sosyalist Eşitlik Partisi.
Der Verrat der Gewerkschaften
39. Die Abneigung der Opportunisten, den Arbeitern die Wahrheit zu sagen, geht praktisch immer mit Bemühungen einher, die Autorität der alten, reaktionären und durch und durch korporatistischen Gewerkschaften und politischen Organisationen aufrechtzuerhalten, die von sich behaupten, sie würden die Arbeiter vertreten. Es geht diesen Organisationen darum, die Arbeiterklasse weiter dem kapitalistischen System unterzuordnen. Die Sosyalist Eşitlik Partisi bemüht sich dagegen darum, Arbeitern den wirklichen Charakter dieser Organisationen zu zeigen. Diese Organisationen werden hauptsächlich von Funktionären aus der oberen Mittelschicht kontrolliert, deren Interessen sie auch dienen. Ihr persönliches Einkommen erhalten sie dafür, dass sie bei der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Unternehmen eine aktive und bewusste Rolle als Erfüllungsgehilfen spielen.
40. In den letzten Jahrzehnten haben die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle dabei gespielt, Streiks zu beenden, Löhne zu senken, Zusatzleistungen zu streichen, Arbeitsplätze abzubauen und Fabriken zu schließen. Trotz des Verlusts von Mitgliedern sind die Einnahmen der Gewerkschaften und die Gehälter ihrer Funktionäre während dieses Prozesses weiter gestiegen. Vor den Nöten, in die ihre Mitglieder gestürzt werden, sind sie sicher und sie stehen ihnen gleichgültig gegenüber. Die Gewerkschaften sind durch Mitgliedsbeiträge, die automatisch vom Lohn einbehalten werden, und durch Arbeitsgesetze vor dem Protest einfacher Mitglieder geschützt und durch tausend Fäden an die Konzerne und den kapitalistischen Staat gebunden.
41. Die Sosyalist Eşitlik Partisi ruft zu einer Rebellion gegen diese korrupten Organisationen, die nicht die Arbeiter vertreten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Sosyalist Eşitlik Partisi der Arbeit innerhalb solcher Organisationen enthält, sofern dies nötig ist, um Zugang zu den Arbeitern zu bekommen, die sowohl von den Unternehmern als auch den Gewerkschaftsfunktionären unterdrückt werden. Aber die Sosyalist Eşitlik Partisi leistet eine solche Arbeit auf der Grundlage einer revolutionären Perspektive. Sie tritt für den Aufbau neuer, unabhängiger Organisationen – Aktionskomitees in den Fabriken und Betrieben – ein, die wirklich die Interessen der einfachen Arbeiter vertreten und von ihnen demokratisch kontrolliert werden.
42. Auf dieser Grundlage unterstützt die Sosyalist Eşitlik Partisi entschlossen die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC), die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale ins Leben gerufen wurde. Die IWA-RFC bietet der Arbeiterklasse einen Weg und ein Mittel, um dem kapitalistischen Angriff entgegenzutreten, der durch die Pandemie und den Krieg verschärft wurde, und um ihre Kämpfe gegen die herrschende Klasse und die korporatistischen Gewerkschaften in verschiedenen Fabriken, Sektoren und Ländern zu koordinieren.
Für die Einheit der Arbeiterklasse – gegen Identitätspolitik
43. Eine andere Form des Opportunismus, die eine wichtige Rolle dabei spielt, den Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse zu untergraben und das Klassenbewusstsein zu verringen, sind die unzähligen Formen der Identitätspolitik. Dabei werden nationale, ethnische, rassische, sprachliche, religiöse, geschlechtliche oder sexuelle Unterschiede über die Klassenfrage gestellt. Diese Verschiebung des Schwergewichts von der Kategorie „Klasse“ hin zu „Identität“ geht auf Kosten des Verständnisses, dass die Ursachen für die Nöte, mit denen alle arbeitenden Menschen zu kämpfen haben, im kapitalistischen System liegen. Im schlimmsten Fall fördert die Identitätspolitik den Wettstreit verschiedener „Identitäten“ um Zugang zu Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätzen und anderen Möglichkeiten. In einer sozialistischen Gesellschaft stünden all diese Dinge sämtlichen Menschen frei zur Verfügung, ohne solch erniedrigende, entmenschlichende und willkürliche Unterscheidungen. Die Sosyalist Eşitlik Partisi fordert volle Gleichheit für alle Menschen und verteidigt kompromisslos ihre demokratischen Rechte. Alle Formen der Diskriminierung aufgrund nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser oder sprachlicher Herkunft sowie aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung müssen beseitigt werden. Die Sosyalist Eşitlik Partisi vertritt dieses wesentliche demokratische Element ihres Programms im Rahmen des Kampfs für den Sozialismus, der auf der politischen Vereinigung aller Teile der Arbeiterklasse beruht.
Gegen Fremdenfeindlichkeit und für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten
44. Eine wesentliche Voraussetzung für diese Vereinigung ist die kompromisslose Verteidigung der demokratischen Rechte von Migranten und Flüchtlingen, die in der Türkei leben. Sämtliche etablierten Parteien und Medien schüren Fremdenfeindlichkeit und Hetze gegen Flüchtlinge, um von ihrer eigenen Verantwortung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise abzulenken, die durch das kapitalistische System und die Kriege der NATO-Mächte in der Region verursacht wurden. Die Sosyalist Eşitlik Partisi wendet sich gegen alle Versuche, Migranten oder Geflüchtete, die vor imperialistischen Kriegen geflohen sind, zum Sündenbock für die Wirtschaftskrise und wachsende Arbeitslosigkeit zu machen. Ebenso tritt sie allen Versuchen entgegen, die Arbeiterklasse mit chauvinistischen Vorurteilen zu spalten und den Klassenkampf zu unterdrücken. Die Partei weist das reaktionäre Grenzregime zurück, das die EU gemeinsam mit der Türkei unterhält. Es hat Europa in eine Festung verwandelt und fordert jährlich tausende Opfer.
45. Die Türkei ist aufgrund ihrer geopolitischen Lage ein Transitland für Menschen, die ihre Heimatländer verlassen, die von imperialistischen Kriegen verwüstet wurden, um in Europa ein menschenwürdiges Leben zu suchen. Mehr als 3,5 Millionen Flüchtlinge, die aufgrund des Kriegs für einen Regimewechsel aus Syrien geflohen sind, sind infolge der schmutzigen Deals zwischen der EU und der türkischen Regierung in der Türkei gefangen. Die Sosyalist Eşitlik Partisi setzt sich für das bedingungslose Recht der Arbeitenden ein, im Land ihrer Wahl zu leben und zu arbeiten. Wir fordern uneingeschränkte demokratische und Bürgerrechte für alle Einwanderer und Geflüchteten, einschließlich Wirtschaftsmigranten, die als „nicht registrierte Arbeiter“ eingestuft werden.
Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und des Nahen Ostens
46. Die Türkei ist aufgrund ihrer zentralen Position in der Geopolitik des Weltimperialismus von den Entwicklungen in Europa und dem Nahen Osten unmittelbar betroffen. Infolgedessen wird der Klassenkampf in diesem Land ohne Zweifel gigantische Ausmaße annehmen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Aufbaus der trotzkistischen Bewegung in der Türkei und im gesamten Nahen Osten.
47. Die imperialistische Aggression hat im Nahen Osten ein Blutbad angerichtet. Sie birgt die Gefahr eines noch viel blutigeren regionalen Krieges, in den auch die Türkei verwickelt werden könnte. Nach dem Irak, Syrien und dem Jemen begannen die imperialistischen Mächte unter Führung der USA zusammen mit Israel einen mörderischen imperialistischen Krieg gegen den Iran. Die Sosyalist Eşitlik Partisi lehnt die imperialistische Aggression gegen unterdrückte Länder im Nahen Osten und anderswo prinzipiell ab. Zusammen mit ihren Schwesterparteien in der Vierten Internationale kämpft sie für die revolutionäre Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen diese Aggression und deren Quelle, den Kapitalismus. Die korrupten Regime und kapitalistischen Eliten der gesamten Region sind Mittäter in dieser blutigen Geschichte, in der ganze Gesellschaften zerstört wurden. Die einzige soziale Kraft, die den Kriegen ein Ende setzen wird, ist die Arbeiterklasse des Nahen Ostens, vereint über alle nationalen, ethnischen, religiösen und konfessionellen Grenzen hinweg und im Bündnis mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in den USA, Europa und der ganzen Welt. Kein bürgerlich-nationalistisches Regime und keine bürgerlich-nationalistische Partei in der Region kann als Verbündeter der Arbeiterklasse gegen diese imperialistische Aggression betrachtet werden. Die Arbeiter und unterdrückten Massen des Nahen Ostens benötigen eine klare sozialistische Perspektive und ein entsprechendes Programm, das auf der historischen und internationalen Erfahrung der Arbeiterklasse beruht. Nur so können sie einen erfolgreichen Kampf gegen den Imperialismus und seine regionalen Verbündeten führen, d. h. die türkische, kurdische, israelische, arabische, iranische herrschende Klasse. Der Kampf gegen die imperialistische Aggression zur Neuaufteilung und Neukolonisierung des Nahen Ostens ist untrennbar mit dem Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens verbunden.
48. In diesem Kampf werden die Arbeiter des Nahen Ostens ihre Verbündeten in den Arbeitern in Amerika, Europa und auf der ganzen Welt finden, unter denen es enormen Widerstand gegen endlosen Kriege der USA und ihrer Verbündeten gibt. Sie werden den Kampf ihrer hiesigen Klassenbrüder für die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens stark unterstützen. In der Türkei, die eine Brücke zwischen Europa und dem Nahen Osten darstellt, antwortet die Sosyalist Eşitlik Partisi auf imperialistische Kriege mit der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und des Nahen Ostens.
Proletarischer Internationalismus gegen Nationalismus
49. Die Sosyalist Eşitlik Partisi kämpft für die demokratischen, kulturellen und politischen Rechte aller unterdrückten Völker in der Region, insbesondere der Kurden und Palästinenser. Die kurdische Bevölkerung lebt in vier Ländern, die bei den imperialistischen Kriegen und Militärinterventionen im Nahen und Mittleren Osten im Zentrum standen. Ihre demokratischen und kulturellen Rechte können nur in einer sozialistischen Föderation gesichert werden, die Teil des Kampfs für den internationalen Sozialismus sein wird. Das gleiche gilt für die Palästinenser, die einer ethnischen Säuberung und einem Völkermord durch das zionistische Israel zum Opfer fallen.
50. Die unterdrückten Völker zu verteidigen, ist nicht gleichbedeutend mit Unterstützung für pro-imperialistische, bürgerlich-nationalistische Bewegungen oder einer Rechtfertigung von Separatismus. Die bittere Geschichte der Kurden und Palästinenser ist vom Verrat der verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlich-nationalistischen Führungen geprägt. Der bürgerliche Nationalismus ist bankrott.
51. Die globale Integration der Wirtschaft untergräbt den Nationalstaat und alle Arten nationalistischer und reformistischer Projekte. Dies hat dazu geführt, dass diejenigen, die eine solche Politik führen, für eine Zusammenarbeit mit den imperialistischen Staaten offen sind. Auf dem Balkan legt die Zersplitterung Jugoslawiens durch die imperialistischen Mächte unter dem falschen Slogan der „Menschenrechte“, zuletzt die Errichtung des Satellitenstaates Kosovo, hierfür ein klares Zeugnis ab. Weitere Beispiele sind der ethnische Separatismus, den die Imperialisten mit Blick auf Russland im Kaukasus geschürt haben, die Manöver der Befreiungstiger von Tamil Eelam zwischen den imperialistischen Mächten, der indischen Bourgeoisie und dem sri-lankischen Staat, die ihr tragisches und blutiges Ende vorbereiteten, sowie die endlosen Katastrophen, die die Palästinenser im Nahen Osten mit ihren nationalistischen Führungen erlebt haben. Was die kurdischen nationalistischen Bewegungen betrifft, so dienten sie der imperialistischen Besetzung im Irak als Kollaborateure oder im Regimewechselkrieg in Syrien als Stellvertreter der Nato. Dies sind nur die wichtigsten Beispiel der letzten dreißig Jahre. All diese bürgerlichen oder kleinbürgerlich-nationalistischen Bewegungen zeigen, dass der sogenannte „auf nationale Befreiung orientierte“ Imperialismus nichts als Katastrophen hervorgebracht hat.
52. Die Sosyalist Eşitlik Partisi tritt für muttersprachlichen Unterricht und dafür ein, dass die kurdische Sprache verfassungsmäßig geschützt wird. Sie verteidigt auch alle anderen demokratischen und kulturellen Rechte. Sie setzt sich für die Freiheit politischer Gefangener ein und betont, dass der einzige Weg zu einem dauerhaften Frieden und zu den demokratischen Rechten, nach denen sich die arbeitenden Menschen sehnen, die Vereinigung der Arbeitenden aller Nationalitäten im Nahen Osten und in den imperialistischen Ländern im Kampf für den globalen Sozialismus und gegen Krieg und neokoloniale Unterdrückung besteht. Das ist der Inhalt unseres Kampfs für die Sozialistische Föderation des Nahen Ostens, die Teil einer sozialistischen Weltföderation sein wird.
53. Die Sosyalist Eşitlik Partisi kämpft auch entschieden gegen Chauvinismus und die historischen Fälschungen, welche die Minderheiten, die in der Vergangenheit einen großen Teil der Bevölkerung und Kultur der Türkei ausmachten, diffamieren. Durch systematische Staatspolitik wurde ihr Anteil an der Bevölkerung allmählich reduziert. Die Partei ist bestrebt, diese Communities unter der revolutionären Führung der Arbeiterklasse zu vereinen.
Demokratischer Zentralismus
54. Der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse setzt Organisation voraus, und Organisation ist unmöglich ohne Disziplin. Aber die Disziplin, die für den revolutionären Kampf notwendig ist, kann nicht bürokratisch von oben verordnet werden. Sie muss sich auf Grundlage einer freien Übereinstimmung über Prinzipien und Programm entwickeln. Diese Überzeugung findet ihren Ausdruck in der Organisationsstruktur der Sosyalist Eşitlik Partisi, die auf den Grundsätzen des demokratischen Zentralismus beruht. Um das politische Programm und die angemessene Taktik zu formulieren, muss vollste Demokratie innerhalb der Partei herrschen. Keine anderen Einschränkungen als die Parteistatuten sind den internen Diskussionen über Politik und Aktivitäten der Partei auferlegt. Die Parteispitze wird von der Mitgliedschaft demokratisch gewählt und unterliegt ihrer Kritik und Kontrolle. Wer zur Parteiführung gehören will und Kritik nicht aushalten kann, sollte sich die Worte von James P. Cannon, dem Gründer der trotzkistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten, zu Herzen nehmen: „Die Wahrheit hat nie jemanden verletzt, solange er sich selbst daran gehalten hat.“ Doch während die Formulierung des Programms die breiteste Diskussion sowie offene und ehrliche Kritik erfordert, verlangt seine Umsetzung die strikteste Disziplin. Die Entscheidungen, zu denen die Partei auf demokratischem Wege gelangt ist, sind bindend für alle Mitglieder. Wer gegen dieses Wesenselement des Zentralismus bei der Umsetzung von Entscheidungen etwas auszusetzen hat, wer in jeder Forderung nach Disziplin eine Verletzung seiner persönlichen Freiheit sieht, ist kein revolutionärer Sozialist, sondern ein anarchistischer Individualist, der nicht versteht, was der revolutionäre Kampf erfordert.
Klassenbewusstsein, Kultur und die World Socialist Web Site
55. Der Kampf für den Sozialismus erfordert eine enorme politische, intellektuelle und kulturelle Entwicklung der Arbeiterbewegung – in der Türkei und international. Im Gegensatz zu den Verfechtern einer pragmatischen und opportunistischen Politik ist die Sosyalist Eşitlik Partisi überzeugt, dass nur eine Bewegung, die auf höchstem theoretischen Niveau arbeitet, die Arbeiterklasse auf ihre Seite ziehen, sie auf den Kampf gegen den Kapitalismus vorbereiten und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen kann. Während sich bürgerliche Politiker bemühen, die Arbeiterklasse auf ihr eigenes heruntergekommenes intellektuelles Niveau herunterzuziehen, verfolgt die Sosyalist Eşitlik Partisi das Ziel, die Arbeiterklasse auf das Niveau zu heben, das für die Erfüllung ihrer historischen Aufgaben notwendig ist. Nicht nur die Politik sondern auch die Naturwissenschaften, die Geschichte, die Philosophie, die Literatur, der Film, die Musik, die schönen Künste und alle Bereiche der Kultur gehören zur sozialistischen Bildung. Das wichtigste Werkzeug der Sosyalist Eşitlik Partisi für die Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins der Arbeiterklasse ist die World Socialist Web Site (wsws.org). Mit ihren täglichen Analysen zu weltpolitischen und ökonomischen Entwicklungen, Enthüllungen zur gesellschaftlichen Realität des Kapitalismus, Kommentaren zu wichtigen Kulturfragen, Diskussionen zu historischen und philosophischen Themen und Untersuchungen zu kritischen Fragen der revolutionären Strategie, Taktik und Praxis spielt die WSWS eine entscheidende Rolle dabei, eine zeitgemäße marxistische Weltbewegung ins Leben zu rufen.
Revolutionäre Strategie und Übergangsforderungen
56. Das strategische Ziel der Sosyalist Eşitlik Partisi und des Internationalen Komitees der Vierten Internationalen ist die Erziehung und Vorbereitung der Arbeiterklasse für den revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus, die Errichtung der Arbeitermacht und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Unser Ziel ist nicht die Reform des Kapitalismus, sondern sein Sturz. Dieses strategische Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn man den Lebensbedingungen der breiten Masse von Arbeitern größte Aufmerksamkeit schenkt und Forderungen entwickelt, die sich an ihren Bedürfnissen orientieren. Es ist notwendig, in der Praxis eine Verbindung zwischen der Perspektive der sozialistischen Revolution und den konkreten Kämpfen der Arbeiterklasse herzustellen. Dabei orientiert sich die Sosyalist Eşitlik Partisi an der Methode, für die Leo Trotzki im Übergangsprogramm eintrat: „Man muss den Massen im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zwischen ihren augenblicklichen Forderungen und dem sozialistischen Programm der Revolution zu finden. Diese Brücke muss aus einem System von Übergangsforderungen bestehen, die von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ausgehen und stets zu ein und demselben Schluss führen: zur Machteroberung des Proletariats.“[9]
57. Solche Übergangsforderungen sind: Vollbeschäftigung, uneingeschränkter Zugang zu erstklassiger medizinischer Versorgung und Bildung, menschenwürdige und sichere Wohnungen, Annullierung von Zwangsvollstreckungen und Räumungen, automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, Demokratie am Arbeitsplatz, öffentlicher Einblick in die Finanzen von Unternehmen und Banken, Gehaltsobergrenzen für Manager, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen, bedeutende Beschränkungen bei der Übertragung großer persönlicher Vermögen durch Erbschaft, Verstaatlichung und demokratische Kontrolle der Arbeiter über Großunternehmen, die für die nationale und globale Wirtschaft lebenswichtig sind, sowie weitere Forderungen mit demokratischem und sozialem Charakter.
58. Übergangsforderungen werden eine wichtige Rolle bei der politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse spielen, sofern sie Teil einer größeren Kampagne zur Entwicklung sozialistischen Bewusstseins sind. Das Übergangsprogramm ist keine Speisekarte, aus dem Forderungen willkürlich herausgepickt werden können, ohne dass der politische Kontext oder Bezug zu übergeordneten Zielen angemessen berücksichtigt wird. Wenn das Übergangsprogramm als Brücke zum Sozialismus dienen soll, darf dieses Ziel vor den Arbeitern nicht geheim gehalten werden.
Die Arbeiterklasse und die sozialistische Revolution
59. Die Arbeit der Sosyalist Eşitlik Partisi beruht auf einem tiefen Vertrauen in die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse, das sich aus einer wissenschaftlichen Theorie und aus reichen historischen Erfahrungen ableitet. Aber der Sieg der sozialistischen Revolution hängt davon ab, dass die Arbeiter bewusst dafür kämpfen. Die Emanzipation der Arbeiterklasse ist letztlich die Aufgabe der Arbeiter selbst, oder, wie Engels es ausdrückte: „Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie mit Leib und Leben eintreten.“[10] Sozialismus ist nur möglich, wenn die Arbeiter selbst ihn wollen. Umgekehrt wird keine Macht der Welt die Arbeiter in der Türkei davon abhalten können, eine führende Rolle in der sozialistischen Weltrevolution zu übernehmen, wenn sie sich unter den Schlägen des krisengeschüttelten Kapitalismus dazu entschlossen haben.
Leo Trotzki: „Was ist nun die permanente Revolution?“, in: Die permanente Revolution. Essen 2016, S. 264–265. Online abrufbar hier: https://www.wsws.org/de/articles/2025/08/29/perm-a29.html
Leo Trotzki: „Der Programmentwurf der Kommunistischen Internationale. Kritik der grundlegenden Thesen“, in: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993, S. 25.
Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Marx-Engels-Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 166.
W. I. Lenin: Was tun? Werke, Bd. 5, Berlin 1959, S. 379.
Leo Trotzki: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale - Das Übergangsprogramm. Essen 1997, S. 83.
Ebd., S. 86.
Karl Marx: Das Kapital. Marx-Engels-Werke, Bd. 23, Berlin 1962, S. 27.
Leo Trotzki: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale - Das Übergangsprogramm. Essen 1997, S. 139ff.
Ebd., S. 86. (Hervorhebung im Original)
Friedrich Engels: „Einleitung zu Karl Marx‘ ,Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850‘ (1895)“. Marx-Engels-Werke, Bd. 22, S. 523.