Corbyns neue linke Partei – was sie ist und was nicht

Am Donnerstag, dem 24. Juli, bestätigte Jeremy Corbyn endlich die Gründung einer neuen linken Partei in Großbritannien. Innerhalb von drei Tagen trugen sich mehr als 500.000 Personen auf einer Mailing-Liste ein, um „Your Party“ aufzubauen. Der Gründungsparteitag soll im Herbst stattfinden.

Die Ankündigung ist ein Meilenstein im fortschreitenden Zusammenbruch der Labour Party. Millionen von Arbeitern und Jugendlichen sind zu dem Schluss gekommen, dass Labour unter der Führung von Keir Starmer eine hoffnungslos rechte, wirtschaftsfreundliche Partei von Kriegstreibern und Befürwortern des Völkermords in Gaza ist.

Jeremy Corbyn beim Summit of Resistance im März 2025

In der kurzen Gründungserklärung der neuen Partei, die die Unterschrift von Corbyn und der kürzlich zurückgetretenen ehemaligen Labour-Abgeordneten Zarah Sultana trägt, heißt es: „Es ist Zeit für eine neue Art von Partei. Eine, die euch gehört.“ Sie verweist auf die Millionen, die in Armut leben, während „Großkonzerne ein Vermögen machen“ und die Regierung „Milliarden für Krieg“ bereitstellt, und sie benennt die „Mittäterschaft der Regierung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Die Erklärung fordert eine „massive Umverteilung von Vermögen und Macht“ und die Verteidigung des „Rechts auf Protest gegen Völkermord“; sie wendet sich dagegen, Migranten und Flüchtlinge zu Sündenböcken zu machen, und gegen die „Giganten der fossilen Brennstoffindustrie, die ihre Profite über unseren Planeten stellen“. Weiter heißt es: „Die einfachen Menschen schaffen den Reichtum, und die einfachen Menschen haben auch die Macht, ihn dahin zurückzubringen, wo er hingehört.“

Millionen stimmen dem zu und erkennen die Notwendigkeit einer neuen Partei, um diese Ideen umzusetzen. Aber das ist nicht Corbyns Partei. Obwohl er zum organisatorischen Bruch mit Labour gezwungen war, stellt seine neue Partei keinen politischen Bruch mit dem Laborismus dar. Sie befürwortet lediglich begrenzte Reformen, die durch das Parlament umgesetzt werden sollen – eine Neuauflage der Labour Party.

Der Charakter der Partei wird vor allem von ihrer Führung geprägt. Sie hat sich in den letzten Monaten nicht nur aus der Führung Corbyns entwickelt, sondern auch aus derjenigen vieler Mitarbeiter aus seiner Zeit als Labour-Parteichef, zum Beispiel seiner ehemaligen Stabschefin, Karie Murphy, und der Leiterin von Corbyns Peace and Justice Project, Sheila Fitzpatrick.

Zu dieser alten Garde kommt nun noch Sultana hinzu, die die neue Generation der Corbyn-nahen Abgeordneten repräsentiert, die 2017 ins Parlament einzogen, sowie auch Corbyns Independent Alliance, bestehend aus vier weiteren Abgeordneten, die ausschließlich wegen ihres Widerstands gegen den Völkermord in Gaza gewählt wurden und zuvor nicht für linke Politik eingetreten waren. Von einem von ihnen, Ayoub Khan, ist bekannt, dass er einmal bei der stellvertretenden Labour-Premierministerin Angela Rayner angefragt hatte, ob man angesichts des anhaltenden Streiks der Müllabfuhr in Birmingham nicht das Militär zur Straßenräumung einsetzen könne.

Dieser Apparat wird dafür zuständig sein, dass beim Gründungsparteitag nur ein Programm mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner verabschiedet wird. Es wird nicht über die minimalen Sozialreformen hinausgehen, die Labour unter Corbyn in ihren Wahlprogrammen 2017 und 2019 angekündigt hatte.

Daran wird auch die Tatsache nichts ändern, dass zahlreiche pseudolinke Tendenzen, die sich Revolutionäre nennen, diese Initiative sofort und umfassend unterstützen. Gruppen wie die Socialist Workers Party (SWP), die Revolutionary Communist Party (RCP) oder die Socialist Party (SP) werden die Rolle von Cheerleaders und Apologeten für diese neue reformistische Partei übernehmen. Sie werden sich an die Politik von Corbyn anpassen und nicht umgekehrt.

Die nationale Kampagnenorganisatorin der RCP, Fiona Lali, hat an „Jeremy und Zarah“ einen Appell gerichtet, offenbar um der neuen Partei revolutionäre Ratschläge für ihr Programm zu erteilen. Darin betonte sie, jetzt sei „nicht die Zeit, zurückzublicken“.

Aber ganz so schnell wollen wir nicht weitergehen. Für die Arbeiterklasse ist die Bilanz des De-facto-Anführers dieser neuen Partei von außerordentlicher Bedeutung. In der Vergangenheit hat er vor seinen rechten Gegnern immer wieder einen Rückzieher gemacht.

Als Labour-Parteichef bestritt Corbyn zwei Wahlen mit dem Versprechen, Mitglied in der Nato zu bleiben und die britischen Atomwaffen beizubehalten. Er und sein Schattenfinanzminister John McDonnell kombinierten ihre geplanten Reformen mit einer „Charmeoffensive“, um sich die Unterstützung der City of London zu sichern. Gleichzeitig wiesen sie die Labour-Gemeinderäte an, die von der konservativen Regierung geforderten Kürzungen umzusetzen.

Corbyns Weigerung, seine Anhänger gegen eine Hexenjagd wegen angeblichem „linken Antisemitismus“ zu verteidigen, ebnete den Weg für die rechte Kampagne, die bis heute Opfer fordert.

So nutzte Corbyn die allgemeine Unterstützung, die damals nicht kleiner war als heute: In den Jahren 2015 und 2016 zahlten 600.000 Menschen extra den Beitritt zur Labour Party – ausdrücklich, um Corbyn zu verteidigen und den Kampf gegen den rechten Blair-Flügel aufzunehmen.

Sofern Corbyns zahlreiche Apologeten diese Erfahrungen heute überhaupt erwähnen, ziehen sie daraus nur die Lehre, dass die Rechten in der Partei seine besten Vorsätze sabotiert hätten, und dass seine Agenda in einer neuen, von Labour unabhängigen Partei verwirklicht werden  könne. Deshalb wird der gleiche Mantel der historischen Amnesie darüber gebreitet wie über die früheren bitteren Erfahrungen, die Arbeiter mit ähnlichen linken Abspaltungen von diskreditierten reformistischen Parteien gemacht haben: mit Podemos in Spanien, mit dem Linksblock in Portugal, aber vor allem mit Syriza in Griechenland.

Corbyn erklärte im Jahr 2015 ausdrücklich, dass unter seiner Führung der Labour Party eine Wiederholung der Syriza-Erfahrung in Großbritannien nicht notwendig sei. Der Zusammenbruch der alten sozialdemokratischen Partei in Griechenland, PASOK, könne in Großbritannien durch die Wiederbelebung der Labour Party als „sozialistische“ Organisation vermieden werden. Die SWP, RCP und SP unterstützten Corbyn dabei. Aber heute erklären sie, dass doch eine Partei links von Labour notwendig sei – und Corbyn sei der Mann, der sie führen könne.

Dabei haben Syriza und ihre internationalen Pendants verheerende Angriffe auf die Arbeiterklasse ausgeführt. Syriza wurde 2015 in Griechenland aufgrund des Versprechens gewählt, sich dem vom europäischen Finanzkapital geforderten Austeritätskurs zu widersetzen, verriet dieses Mandat jedoch schon nach wenigen Monaten vollständig.

In einem Artikel im Socialist Worker schreibt Tomáš Tengely-Evans, dieser Verrat sei möglich gewesen, weil es Syriza „wichtiger war, Wahlen zu gewinnen, als den Kampf voranzubringen. Sozialisten müssen aber Wahlpolitik nutzen, um sich für den Kampf und die Bewegungen einzusetzen und das Vertrauen der Arbeiterklasse in den Widerstand zu stärken.“

Syriza wurde jedoch von einem enormen „Kampf“ der Bevölkerung unterstützt. Hunderttausende demonstrierten auf den Straßen für ein klares „Nein“ gegen den Austeritätskurs in einem Referendum, das der Syriza-Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis zynisch angesetzt hatten. Aber der Druck der Bevölkerung bewegte die Syriza–Führung nicht nach links, sondern zu einem noch engeren Bündnis mit dem Imperialismus.

Demonstration gegen den Austeritätskurs auf dem Syntagma-Platz in Athen 2015

Der Standpunkt der SWP und ähnlicher Organisationen lautet, dass Arbeiter jetzt eine neue Erfahrung durchmachen, und dass die Revolutionäre diese Erfahrung als kritisch unterstützende Fraktion von Corbyns neuer Partei teilen müssen. Fünf Jahre lang haben sie Corbyns Plan zur sozialistischen Umgestaltung der Labour Party unterstützt, und seit vier Jahren und acht Monaten versuchen sie, ihn davon zu überzeugen, eine neue reformistische Organisation zu gründen. Heute versichern sie ihm ihre Unterstützung für weitere vier Jahre, bis über die nächsten Parlamentswahlen hinaus.

Irgendwie soll dies die Arbeiterklasse auf einen revolutionären Bruch mit Corbyns reformistischer Politik vorbereiten. Diese objektivistische Herangehensweise stellt, selbst wenn sie aufrichtig verfolgt würde, eine extreme Gefahr für die Arbeiterklasse dar. Sie würde auf Jahre hinaus durch Corbyn gelähmt werden, während die Kapitalistenklasse eine brutale Gegenoffensive vorbereitet.

Wie die Socialist Equality Party [SEP, britische Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei] immer wieder erklärt hat, ist die Degeneration der Labour Party und ihre Verwandlung in eine Partei, die ebenso reaktionär und nicht weniger verhasst ist als die Tories, nicht das Ergebnis falscher Ideen und schlechter Führer. Die Wurzeln liegen in fundamentalen Veränderungen der Grundlagen des Weltkapitalismus. Die Entwicklung der globalisierten Produktion, sinkende Profitraten und die ungebremste Finanzialisierung, abgedeckt durch Staatsverschuldung, haben jede Möglichkeit von auch nur begrenzten Reformen des kapitalistischen Profitsystems zunichte gemacht.

Die Arbeiterklasse in Großbritannien und international lebt heute in einer Welt, in der die superreiche Oligarchie einen immer größeren Prozentsatz des globalen Vermögens an sich reißt, während die imperialistischen Mächte ihre Streitkräfte für den Krieg um Territorien und Rohstoffe aufrüsten. Der Preis dafür ist die Zerstörung des Lebensstandards der Arbeiter, der Einsatz von Polizeistaatsmaßnahmen und die Kultivierung rechter Parteien, um Widerstand zu unterdrücken.

Jeder Versuch, irgendeine Reform durch Corbyns Partei umzusetzen, würde auf eine Mischung aus Wirtschaftskrieg und rechtsextremer sowie militärischer Gewalt stoßen. Einst reichte selbst die Aussicht auf einen Premierminister Corbyn – damals unter Führung der mehrheitlich blairistischen Parlamentsfraktion – schon aus, um Morddrohungen und Drohungen mit einem Militärputsch auszulösen.

Die herrschende Klasse wird auf jede Herausforderung, die sich gegen die Zerstörung des Lebensstandards und den imperialistischen Krieg richtet, mit brutaler Unterdrückung reagieren. Dies hat die Starmer-Regierung mit der Verhaftung von Hunderten von Demonstrierenden gegen den Völkermord und dem Verbot von Palestine Action unter Berufung auf Anti-Terror-Gesetze deutlich gemacht. Der Sieg erfordert eine revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse – die Verstaatlichung wichtiger Industrien, die Beschlagnahme des Vermögens der Milliardäre und eine internationale sozialistische Strategie, um den Sieg zu gewährleisten.

Corbyn und die Führung seiner neuen Partei hegen vor einer solchen Bewegung Todesangst. Sie würden dem Beispiel von Syriza folgen – vermutlich in noch unterwürfigerer Weise. Die Funktion der SWP, der RCP und der SP besteht darin, die Arbeiterklasse angesichts dieser politischen Realität zu entwaffnen.

Die Socialist Equality Party wird alles in ihrer Macht stehende tun, um die Arbeiter auf die Situation aufmerksam zu machen und mit dem notwendigen Programm und der notwendigen Führung auszustatten. Wir werden keine Anwälte und Verteidiger von „Your Party“ sein, denn sie ist nicht unsere Partei. Wir werden uns tatkräftig mit den vielen Arbeitern und Jugendlichen auseinandersetzen, die jetzt Hoffnungen in Corbyns Führung setzen, und sie über die fundamentalen historischen Erfahrungen der letzten zehn Jahre und darüber hinaus aufklären. Wie sich gezeigt hat, ist jetzt eine internationalistische und sozialistische Perspektive und Partei notwendig.

Wir wollen sicherstellen, dass die Arbeiterklasse ihre Energie nicht in einer demoralisierenden Kampagne für eine Partei verschwendet, die sie in Verrat und Niederlage führen wird, und dass, in Vorbereitung auf die bevorstehenden revolutionären Klassenkämpfe, die Illusionen in Corbyns Reformismus so schnell wie möglich zerplatzen.

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