Ende letzter Woche kam es an zwölf Stellen entlang der umstrittenen Grenze zu militärischen Zusammenstößen zwischen Thailand und Kambodscha. Laut den thailändischen Behörden wurden 14 Zivilisten und acht Soldaten getötet. Kambodscha betätigte 13 Tote.
Angesichts der anhaltenden Zusammenstöße kam es zu Massenevakuierungen aus den Grenzgebieten beider Länder. Thailändische Regierungsvertreter erklärten am Freitag, aus vier Grenzprovinzen seien 138.000 Menschen evakuiert worden. Aus der kambodschanischen Provinz Preah Vihear wurden laut der Khmer Times etwa 20.000 Menschen evakuiert.
Der amtierende thailändische Premierminister Phumtham Wechayachai erklärte bei einer Pressekonferenz in Bangkok, die Kämpfe würden eskalieren und „könnten sich zu einem Krieg entwickeln“. Derzeit gebe es jedoch keine Kriegserklärung und der Konflikt breite sich nicht auf weitere Provinzen aus.
Beide Regierungen geben sich gegenseitig die Schuld für die Zusammenstöße, denen zwei Vorfälle am 16. und 23. Juli vorangegangen waren, bei denen thailändische Soldaten durch Explosionen von Landminen verwundet wurden. Als Reaktion auf den zweiten Vorfall rief Thailand seinen Botschafter aus Phnom Penh zurück und schloss alle Grenzübergänge zwischen den beiden Ländern. Kambodscha wiederum zog das gesamte Botschaftspersonal aus Bangkok ab.
Das thailändische Militär hat Luftangriffe innerhalb von Kambodscha geflogen, während seine Streitkräfte von Thailand aus mit schwerer Artillerie und Raketen angegriffen haben. Die thailändischen Streitkräfte sind viel größer und besser ausgerüstet als ihr kambodschanisches Pendant, dessen Luftwaffe aus einigen Hubschraubern und Transportflugzeugen besteht, aber nicht über Kampfflugzeuge verfügt.
Viele Länder, darunter die USA und China, haben zur Deeskalation aufgerufen. Auch der UN-Sicherheitsrat wurde einberufen, um über den Konflikt zu erörtern. Malaysia, das derzeit den Vorsitz über den Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) innehat, hat zu einer Waffenruhe aufgerufen. Kambodscha hat den Vorschlag akzeptiert, aber Thailand hat Bedingungen für ein Ende der Kampfhandlungen gestellt.
Das thailändische Außenministerium erklärte am Freitag, es stimme dem malaysischen Plan für eine Waffenruhe grundsätzlich zu, bestand aber darauf, dass er auf „angemessenen Bedingungen vor Ort“ basieren müsse. Es warf dem kambodschanischen Militär außerdem vor, seine „willkürlichen Angriffe auf thailändisches Gebiet“ fortzusetzen.
In den Zusammenstößen äußern sich die erhöhten politischen und sozialen Spannungen in beiden Ländern aufgrund der Abschwächung der Volkswirtschaften, die von den Zöllen der Trump-Regierung noch weiter belastet werden. Kambodscha, das 2022 40 Prozent seiner gesamten Exporte in die USA schickte, ist ab dem 1. August mit einem pauschalen Trump-Zoll von 36 Prozent konfrontiert.
Thailand ist zwar weniger abhängig von Exporten in die USA, wird aber mitten in einem starken Wirtschaftsabschwung von Zöllen in gleicher Höhe getroffen. Die sogenannte Tiger-Wirtschaft verzeichnete im vergangenen Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 2,5 Prozent, und die Schätzungen für dieses Jahr liegen unter zwei Prozent.
Der seit langem bestehende Grenzkonflikt, der sich aus der kolonialen Vergangenheit der Region ergibt, ist ein brisantes Thema, das von nationalistischen Demagogen in beiden Ländern ausgenutzt wird. Ein früherer Zusammenstoß Ende Mai, bei dem ein kambodschanischer Soldat ums Leben kam, wurde zum Vorwand für die Absetzung der thailändischen Ministerpräsidentin Paetongtarn Shinawatra am 1. Juli.
Erbitterte Gegner ihrer Regierung nahmen ein geleaktes Telefonat zwischen Paetongtarn und dem ehemaligen kambodschanischen Premierminister Hun Sen zum Anlass, um zu behaupten, sie habe sich gegenüber dem kambodschanischen Machthaber zu unterwürfig verhalten und das thailändische Militär herabgewürdigt. Die so genannten Gelbhemden –Anhänger der Monarchie, des Militärs und der staatlichen Bürokratie – organisierten eine große patriotische Protestveranstaltung für ihren Rücktritt.
Paetongtarn ist die Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, der im Jahr 2006 durch einen Militärputsch gestürzt wurde. Die derzeitige Regierung besteht aus einer hochgradig instabilen Koalition zwischen Shinawatras Partei Pheu Thai und mehreren Parteien aus dem engen Umfeld des Militärs und der traditionellen Eliten des Landes. Paetongtarn ist die zweite Pheu-Thai-Ministerpräsidentin, die in den letzten zwei Jahren vom Verfassungsgericht aufgrund erfundener Anschuldigungen ihres Amtes enthoben wurde.
Thaksin selbst ist angeklagt wegen Majestätsbeleidigung, was mit Strafen von bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet werden kann. In den sozialen Netzwerken dankte Thaksin den Ländern, die sich als Vermittler in dem Konflikt mit Kambodscha angeboten hatten, rief sie aber auf, noch etwas zu warten. „Wir müssen das thailändische Militär seine Arbeit machen lassen und Hun Sen eine Lektion erteilen.“ Er war offensichtlich erbost darüber, dass Hun Sen das Telefonat mit seiner Tochter veröffentlicht hatte, wollte aber seinen politischen Gegnern keine Munition liefern.
Hun Sen erklärte daraufhin auf Facebook, Thaksins „kriegerischer Ton“ sei beispielhaft für „Thailands militärische Aggression gegenüber Kambodscha“. Hun Sens Sohn, Hun Manet, übernahm im Jahr 2023 das Amt des Premierministers, nachdem Hun Sens Kambodschanische Volkspartei bei den Parlamentswahlen einen „Erdrutschsieg“ für sich beansprucht hatte. Zuvor hatte sie eine Unterdrückungskampagne gegen die politische Opposition begonnen, die noch immer andauert.
Im Februar hatten die Spannungen zwischen den beiden Ländern zugenommen, nachdem eine Gruppe von 25 Kambodschanern in Begleitung von kambodschanischen Soldaten den Prasat-Ta-Moan-Thon-Tempel in Thailand nahe der Grenze besucht hatte. Berichten zufolge sang die Gruppe dort provokativ die kambodschanische Nationalhymne, wurde aber von thailändischen Militärs aufgehalten, die den Vorfall als Verstoß gegen gemeinsame Abkommen zum Tourismus bezeichneten.
Die derzeitigen militärischen Zusammenstöße sind die schwersten seit mehr als einem Jahrzehnt. Im Jahr 2011 kam es zu einem Zusammenstoß zwischen thailändischen und kambodschanischen Truppen in einem Gebiet um den Preah-Vihear-Tempel, der eine zentrale Rolle in den Grenzstreitigkeiten spielt. Tausende Menschen auf beiden Seiten mussten fliehen, mindestens 20 Menschen wurden getötet.
Die Streitigkeiten haben ihren Ursprung in einer Karte aus dem Jahr 1907, die französische Behörden in Indochina im Jahr 1907 angefertigt hatten, um Frankreichs koloniale Besitzungen vom Königreich Siam (heute Thailand) abzugrenzen, das nominell unabhängig war und zwischen Französisch-Indochina und der britischen Kolonie Burma lag. Diese Karte bildete die Grundlage für Kambodschas Ansprüche auf die Gebiete um den Preah-Vihear-Tempel. Thailand hat ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) aus dem Jahr 1962 zugunsten Kambodschas nicht akzeptiert.
Die derzeitigen Zusammenstöße könnten mit den geopolitischen Spannungen zusammenkommen, die die gesamte Region erschüttern, während der US-Imperialismus seinen Wirtschaftskrieg und seine Vorbereitungen auf einen militärischen Konflikt mit China forciert. Kambodscha ist einer der ASEAN-Staaten, die am engsten mit China verbündet sind, obwohl es stark von den US-Märkten abhängig ist. China ist ein wichtiger Waffenlieferant für Kambodscha und veranstaltet jährlich gemeinsame Militärübungen unter dem Namen Golden Dragon.
Die USA haben seit langem ein Militärbündnis mit Thailand. Während des Vietnamkriegs nutzten sie die thailändischen Luftwaffenstützpunkte, um Nordvietnam und andere Ziele zu bombardieren. Seit mehr als zwei Jahrzehnten veranstalten Thailand und die USA jährlich die gemeinsamen Militärübungen Cobra Gold. Dazu kommen jährlich mehr als 60 weitere gemeinsame Manöver und zahlreiche Besuche von amerikanischen Militärflugzeugen und Kriegsschiffen. Gleichzeitig ist Thailand wirtschaftlich und in Bezug auf militärische Ausrüstung und Waffen von China abhängig.
Wenn die Zusammenstöße weiter zunehmen, könnten die USA zusammen mit ihren Verbündeten versuchen, den Konflikt auszunutzen, um ihre Position in Südostasien im Rahmen der Vorbereitungen für einen Krieg gegen China zu stärken.